Corona-Hilfen für Gastronomen
Zu wenig, zu spät
Dieser Artikel ist Teil unseres Bezahl-Angebots BZ+
Wenn Sie ein Abo von BZ+ abschließen, dann erhalten Sie innerhalb von 12 Stunden einen Benutzernamen und ein Passwort, mit denen Sie sich einmalig einloggen. Danach können Sie alle Artikel von BZ+ lesen. Außerdem erhalten Sie Zugang zu einigen speziellen, sich ständig erweiternden Angeboten für unsere Abonnenten.
Vor zwei Wochen war für viele Gastronomen das Fass voll. Bei einer Demonstration auf dem Budapester Heldenplatz machten sie ihrem Unmut und ihrer Verzweiflung Luft. Nur Tage zuvor hatte die Regierung erneut eine Verlängerung der Lockdown-Maßnahmen angekündigt, diesmal bis Ende März. Die rund 300 Teilnehmer der Protestveranstaltung forderten einen Kompromiss für ihre Lage.
Am Rande des Bankrotts oder schon darüber hinaus
Diese ist tatsächlich alles andere als gut und betrifft nicht nur Gastronomiebetriebe. Auch Theater, Kinos und Fitnesscenter sind schon seit Monaten geschlossen. Ihre Mitarbeiter haben sich entweder andere Beschäftigungen gesucht oder harren in der Hoffnung auf ein Ende der Maßnahmen aus.
Oft hört man die Frage, wo die versprochenen Hilfen der Regierung geblieben sind. Ádám Szamosi, Kneipenbetreiber und Bühnendarsteller, findet klare Worte: „Es gab eine Scheininitiative. Uns wurde versprochen, dass die Lohnkosten vom Staat mitgetragen würden. Von dieser wissen wir aber mittlerweile, wie sie funktioniert, nämlich gar nicht.”
Ádáms Meinung ist dabei keineswegs subjektiv. Noch im Herbst des vergangenen Jahres verkündete die Regierung eine Hilfsinitiative. Schon damals waren die Schwachpunkte offensichtlich.
Gábor (Name durch die Redaktion geändert) arbeitet seit rund zehn Jahren in der Gastronomie. Er war schon Pizzabäcker, Barmann und Kellner. Er erinnert sich noch genau, was er dachte, als er zum ersten Mal vom angekündigten Rettungspaket hörte: „Das ist ein Witz.” Denn wie er aus eigener Erfahrung weiß, arbeiten nur die wenigsten seiner Kollegen in regulär angemeldeten 8-Stunden-Jobs. Angemeldet war auch er bei seinem letzten Arbeitsplatz nur für zwei Stunden täglich, arbeitete aber rund das Fünffache.
Ein weiteres, großes Problem zeigte sich schon bei Bekanntgabe des Rettungsversuchs: Die Gelder mussten beantragt und genehmigt werden. Kneipen-, Kino-, Restaurant- und Fitnessstudio-Betreiber mussten für den Lohn ihrer Angestellten in Vorkasse gehen und konnten lediglich hoffen, dass die Finanzspritze genehmigt werden würde.
Wie das Nachrichtenportal 444.hu Ende Januar berichtete, ließ die staatliche Beihilfe jedoch in den meisten Fällen auf sich warten. Das Portal sprach mit mehreren Gastronomen, die alle dieselbe Erfahrung gemacht haben. Als Antwort auf die Beantragung der Finanzhilfen lautete die Antwort: Die genehmigende Stelle hat die Informationen erhalten und wird sich mit einer Entscheidung melden. Dass diese aber teils mehr als eineinhalb Monate auf sich warten ließ, war für die Antragsteller nicht länger hinnehmbar. Wohl auch deswegen kamen einige von ihnen am Heldenplatz zusammen.
Hilfe nur für wenige
Lóránt (Name durch die Redaktion geändert) ist Betreiber eines Fitnessstudios und Eventorganisator. Die Pandemie hat beide Geschäftszweige hart getroffen. „Ich habe Glück, mein Vermieter ist kulant und hat mir die Raummiete gemindert, aber von der Regierung haben wir keinerlei Hilfen bekommen.”
Tatsächlich gab es sowohl seitens der Kommunen, der Hauptstadt als auch der Regierung die Bestrebung, die Kostenlast für Geschäfte durch den Erlass der Mieten zu senken, doch dies betraf und betrifft nur solche Geschäfte, Kneipen und Einrichtungen, die ihre Räumlichkeiten vom Staat oder der Kommune mieten.
Geschäftsinhaber wie Lóránt sind dagegen seit bald einem Jahr auf die Gutherzigkeit und Geduld ihrer Vermieter angewiesen. Diese neigt sich jedoch – verständlicherweise – ebenfalls dem Ende zu. „Eines meiner Fitnesscenter musste ich vorerst stilllegen, damit ich zumindest die laufenden Nebenkosten etwas senken kann”, erzählt Lóránt.
So geht es auch Ádám Szamosi: „Wir haben Glück, unser Vermieter ist verständnisvoll und mitfühlend.” Doch wie es so weitergehen soll, weiß auch er nicht. „Wir hatten einen Bartender, der aber zum Glück woanders ein Auskommen finden konnte. Momentan konzentrieren wir uns mit aller Kraft darauf, die verbleibende Lockdown-Zeit zu überleben.”
Dies ist für ihn und seinen Geschäftspartner nicht nur finanziell, sondern auch mental eine Herausforderung. Immer wieder gebe es Gerüchte, dass nun wirklich bald die Lokale zumindest teilweise öffnen dürften – doch darauf will sich Ádám schon lange nicht mehr verlassen. „Es heißt, dass es ab März vielleicht Lockerungen gibt. Aber wenn das nicht stimmt und wir nicht öffnen dürfen, dann weiß ich auch nicht weiter.”
Gesetzesbruch aus Verzweiflung
Es scheint jedoch, als habe die Regierung die Bitten der Gastronomen endlich gehört. Vielleicht auch, weil es Ende Januar so schien, als formiere sich Widerstand gegen die Lockdown-Bestimmungen: Nachdem ein Café im Budapester Stadtteil Békásmegyer aus Verzweiflung angekündigt hatte, trotz der Bestimmungen wieder öffnen zu wollen, da es um ihr Überleben gehe, spielen nun immer mehr Gastronomen mit diesem Gedanken.
Auch ein Lokal in der – derzeit ausgestorbenen – Budapester Innenstadt rief zur Getränke-zum-Mitnehmen-Aktion auf. Das Ganze endete jedoch damit, dass sich mehr als 100 Menschen vor Ort einfanden – und blieben. Die Polizei löste die Versammlung letztlich auf und sanktionierte das Lokal mit einem Bußgeld in Höhe von 500.000 Forint.
Einzelne Aktionen wie diese haben der Öffentlichkeit klargemacht, wie verzweifelt viele Gastronomen mittlerweile sind. Die Regierung geriet dadurch in Zugzwang und gestand zähneknirschend ein, dass die bisherigen Rettungsmaßnahmen nicht die gewünschte Wirkung erzielt hätten.
Deswegen können Kleinunternehmer für die Wiedereröffnung ihrer Lokale nun einen zinslosen Kredit von bis zu zehn Millionen Forint aufnehmen. Diesen müssen sie erst nach drei Jahren zurückzahlen, die Laufzeit kann bis zu zehn Jahren betragen. Ganz klar ist noch nicht, wer alles diesen Kredit in Anspruch nehmen kann.
Bisher ist bekannt, dass Geschäfte, die bereits vor der Pandemie Verluste einfuhren, von dieser Möglichkeit ausgeschlossen sind. Die Nutzung des Geldes ist ungebunden, es können Mitarbeiterlöhne, Mieten oder auch verderbliche Produkte für die Wiedereröffnung gekauft werden. Gastronomen bemängeln, dass dieser Schritt längst überfällig war, hoffen jedoch, dass die Auszahlung sie nun vor dem Konkurs retten wird.
Auch die Hauptstadt versucht, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, den Gastronomen die Wiedereröffnung zu erleichtern. Vor wenigen Tagen wurde ein Aktionspaket bekannt, mit dem Oberbürgermeister Gergely Karácsony hofft, die Gastronomie und die Tourismusbranche wieder in Gang zu bringen. Neben der Verlängerung der Mietfreiheit bis zum 31. Dezember 2021 werden auch die bürokratischen Bestimmungen und Hürden für die Terrasseneröffnung vereinfacht. Terrassengenehmigungen sollen ab sofort im Schnellverfahren entschieden werden, und auch die Nutzungskosten werden den Pächtern erlassen.
Außerdem sucht die Stadt aktiv nach Möglichkeiten, um Gastronomen den Verkauf auf öffentlichen Plätzen zu erleichtern beziehungsweise zu ermöglichen. Eine weitere Maßnahme ist vor allem für Zulieferer wichtig: Seit der landesweiten Einführung des kostenlosen Parkens haben es Zu- und Auslieferer ungemein schwer. Gerade in der Innenstadt werden selbst Ladeflächen oft von Privatpersonen belegt. Die Stadt plant nun, mehr Ladeflächen und spezielle Anlieferparkplätze zu schaffen.
Inwiefern die nun angekündigten Maßnahmen der Regierung und der Hauptstadt letztlich ausreichen werden, um genügend Gastronomen vor dem Schlimmsten zu bewahren, bleibt abzuwarten. Der einst und hoffentlich bald wieder pulsierenden Hauptstadt Ungarns ist es zu wünschen, dass die Maßnahmen Erfolg haben.