Haustierhaltung in Corona-Zeiten
„Solang das Tier lebt, sind wir dafür verantwortlich”
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Viele haben bereits von dem Gerücht gehört, dass nach Einführung der Ausgangssperren mancherorts Hunde „verliehen” wurden, damit man auch nach Zapfenstreich einen guten Grund hatte, vor die Tür zu gehen. „Das war aber viel eher in Norditalien der Fall, hier in Ungarn gehört das in die Kategorie der Großstadtlegenden”, erklärt Veterinärmediziner Tibor Haluk.
Haustiere sind keine größere Gefahrenquelle als Türklinken
Eine Frage, mit der sich Haluk aber bereits ganz zu Beginn der Corona-Krise immer wieder konfrontiert sah, lautete: Sind Haustiere einem erhöhten Risiko ausgesetzt oder erhöhen sie gar das Risiko ihrer Halter, zu erkranken?
Darauf kann der Tierarzt jedoch eine beruhigende Antwort geben: „Ganz zu Beginn der Pandemie war die Panik der Tierhalter deutlich spürbar. Vor allem Clickbait-Artikel, in denen irreführende Formulierungen von erkrankten Tieren sprachen, führten dazu.” Bis heute gibt es jedoch, so Haluk, keinerlei empirische Hinweise darauf, dass das Coronavirus vom Menschen aufs Tier – und vor allem von dort zurück – übertragen werden kann. „Es wurden in absoluten Einzelfällen Coronaviren in Hunden und Katzen nachgewiesen, es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Viren aktiv in Tieren vermehren und von dort auf den Menschen zurückübertragen würden.”
Vereinfacht gesagt, ist ein Haustier keine größere Gefahrenquelle für Ansteckungen als eine Türklinke. „Allerdings sollten wir darauf achten, dass beim Gassigehen immer genug Abstand zu anderen Menschen gehalten wird, dass Fremde unsere Hunde nicht streicheln und dass niemand auf unser Tier hustet oder niest”, so der Veterinärmediziner.
Was wird aus den Tieren nach dem Lockdown?
Im Frühsommer konnte Haluk vor allem ein Phänomen beobachten: „Es erschienen viele neue Tierhalter in meiner Praxis”, erinnert er sich. Das sei einerseits der für diese Jahreszeit typischen Jungtierflut geschuldet, andererseits hätten ihn aber auch neue Herrchen und Frauchen mit nicht mehr ganz jungen Tieren aufgesucht. „Sicher gab es Leute, die vielleicht schon länger über die Adoption eines Tieres nachgedacht haben und bei denen der Corona-Lockdown nur den letzten Anstoß gegeben hat.” Doch leider höre man auch immer wieder von Fällen, in denen sich Menschen ausgesprochen einsam fühlten und nur deswegen eine tierische Ablenkung suchten.
Dies sieht der Tierarzt jedoch mit Skepsis: „Klar, jetzt haben die Menschen Zeit, aber der Lockdown wird nicht ewig anhalten. Das Leben wird irgendwann in die normalen Bahnen zurückkehren. Ich fürchte, dass dann ein Teil der Tiere wieder in die Tierheime zurückkehren wird.”
Keine Änderung beim strengen und bewährten Adoptionsprozess
Noch deutlichere Worte findet Gábor Szekeres, Leiter eines Tierheims der gemeinnützigen Organisation HEROSZ im Budapester Vorort Tétény: „Klar habe ich die Bilder der leeren Tierheime in New York gesehen, ich verstehe sie aber nicht.” Der erfahrene Tierschützer weiß aus eigener Erfahrung, dass viele Menschen die Tiere nur als Ablenkung für die Kinder daheim oder für sich selbst wollen. „Es gab sogar Leute, die das auch rundheraus so gesagt haben.”
Statt zu versuchen, in der Pandemie so viele Tiere wie möglich „an den Mann zu bringen”, habe HEROSZ sich weiterhin an ihren strengen, aber bewährten Adoptionsprozess gehalten, in dem bestmöglich abgeklopft werde, ob der Tierwunsch ein seit Langem gehegter und wohl überlegter Traum oder nur eine spontane Laune ist. „Wir selbst haben keinen Adoptionsstop ausgerufen, aber ich weiß von anderen Tierheimen, die eine Zeit lang keine Tiere mehr herausgegeben haben.”
Gábor Szekeres findet es jedoch wichtig, dass abgewiesene Adoptionsinteressenten begreifen, warum sie (vorerst) kein Tier bekommen: „Die Menschen müssen verstehen, was es bedeutet, ein Tier zu adoptieren. Die meisten verstehen am Ende auch, warum wir Bedenken haben.” Aber trotzdem fürchtet auch der Tierschützer, dass es eine Welle an herrenlosen Tieren geben könnte, sobald die Ausgangsbeschränkungen gelockert werden.
Haustiere: Eine lebenslange Verantwortung
Den Wunsch nach Gesellschaft in Form eines Haustieres kann die Psychotherapeutin Katalin Varjú nur zu gut verstehen: „Es gibt mittlerweile zahllose Untersuchungen, die bestätigen, dass es eine stresslindernde Wirkung hat, ein Tier zu streicheln.” Dies sei insbesondere in Zeiten von Kontaktbeschränkungen ein nicht zu unterschätzender positiver Effekt eines Haustieres.
„Für jemanden, der komplett allein lebt und nun auch noch im Home Office arbeiten muss, kann es einen großen Unterschied in Sachen seelischer Gesundheit machen, ob dort noch „jemand” mit ihm ist”, erklärt Varjú.
Doch auch sie betont, dass Menschen die mit einem Tier einhergehende Verantwortung nicht unterschätzen dürfen: „Leider sehen viele Menschen in einem vierbeinigen Gefährten noch immer ein Plüschtier. Aber Tiere sind ein Stück weit wie Familienmitglieder, die versorgt werden müssen und für die wir bis an ihr Lebensende verantwortlich sind.” Doch wer sich dieser Verantwortung stelle, bekomme im Gegenzug jede Menge zurück.
„Es ist mittlerweile bekannt, dass Haustiere gerade auf Menschen mit autistischen Störungen eine ausgesprochen positive Wirkung haben. Kinder- und Verhaltenstherapeuten empfehlen in diesen Fällen aber tatsächlich eher Katzen”, erklärt Varjú. Hunde, so weiß sie, sind wesentlich geduldiger und nehmen mehr hin, „Katzen hingegen geben direkte Rückmeldung; ihr Verhalten muss gelesen und verstanden werden. Dies kann Autisten und Menschen mit sozialen Störungen dabei helfen, im Alltag besser zurechtzukommen.” Hinzukommt, dass die Bindung an ein Tier für Menschen mit emotionalen Störungen in diesem Bereich eine Stütze sein kann.
Haustiere schon jetzt an den neuen Alltag gewöhnen
Wer schon jetzt weiß, dass sein Leben in Nach-Corona-Zeiten das Halten eines eigenen Tieres unmöglich macht, aber trotzdem einen übermächtigen Wunsch nach einem Haustier verspürt, für den stellt die vorübergehende Pflege eine Option dar. Zahlreiche Tierschutzorganisationen haben mittlerweile erkannt, dass Tiere, die weiterhin unter Menschen bleiben, statt in Tierheimen auf ein neues Zuhause zu warten, wesentlich weniger Verhaltensstörungen entwickeln und später leichter ein neues Heim finden. Vorreiter beim sogenannten „Fostering“ von Haustieren ist in Ungarn die Tierschutzorganisation FAPF. Aber auch kleinere Organisationen wie die Stiftung Minden Állatért bauen ihr Netz an „Pflegeherrchen” stetig aus.
Für alle, die schon einen pelzigen Mitbewohner haben, hat Veterinärmediziner Tibor Haluk noch einen wichtigen Tipp für das Lockdown-Ende: „Bereiten Sie Ihr Haustier darauf vor, dass Sie in absehbarer Zeit wieder mehr Zeit außer Haus verbringen werden. Denn ein plötzlicher drastischer Wechsel kann zu stressbedingten Krankheiten bei Hunden und Katzen führen.”
Haluk empfiehlt daher, die pelzigen Mitbewohner nach und nach für längere Zeitintervalle allein zu lassen. „Das kann mitunter mehrere Wochen in Anspruch nehmen.”
Wer kann – und wo die Möglichkeit besteht –, sollte seinen Hund mit ins Büro nehmen: „Das ist nicht nur für den Hund angenehm, da er nicht allein daheim sein muss, sondern auch für die Kollegen”, erklärt der Tierarzt lachend. Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass in „tierfreundlichen“ Büros, in denen also Tiere erlaubt sind oder die ein eigenes pelziges Büromaskottchen haben, das Klima unter den Kollegen besser ist und es weniger Fälle von Burnout gibt. „Wenn nach Corona viele Büros ihre Anwesenheitspolitik überdenken, ist das genau der richtige Zeitpunkt, um eventuell auch in diesem Bereich Neuerungen einzuführen. Damit kann man nur gewinnen”, findet Haluk.
Wer die Arbeit von HEROSZ mit einer Spende unterstützen möchte, kann via Facebook Kontakt (in Englisch oder Ungarisch) aufnehmen, um zu erfahren, was gerade benötigt wird.
Wer sich als Pflegeherrchen oder -frauchen versuchen will, kann mehr Informationen bei FAPF oder der Stiftung Minden Állatért erhalten. (Beide Seiten sind ungarisch und englisch.)