Tourismus in der Krise
Grenzschließung gibt der Branche den Rest
Dieser Artikel ist Teil unseres Bezahl-Angebots BZ+
Wenn Sie ein Abo von BZ+ abschließen, dann erhalten Sie innerhalb von 12 Stunden einen Benutzernamen und ein Passwort, mit denen Sie sich einmalig einloggen. Danach können Sie alle Artikel von BZ+ lesen. Außerdem erhalten Sie Zugang zu einigen speziellen, sich ständig erweiternden Angeboten für unsere Abonnenten.
Laut dem Statistischen Zentralamt (KSH) war die Zahl der Besucher aus dem Ausland im Juli im Vergleich zum Vorjahr um 75 Prozent niedriger – ein Schlag für die Tourismusbranche, die vor allem in den Sommermonaten ihr Hauptgeschäft macht. Aufgrund der relativen Lockerungen über den Sommer machte man sich aber vorsichtige Hoffnungen, im Herbst zumindest einen Teil der bisher eingefahrenen Verluste wiedergutzumachen. Hotels und Restaurants begannen im August sogar, sich auf neuerliche Besucher vorzubereiten, Lager wurden aufgestockt, Kollegen wieder eingestellt. Doch dann die Schreckensmeldung: Ungarn machte die Grenzen ab dem 1. September erneut dicht.
„Vorerst gibt es kein Zurück”
Auch Szilvia arbeitete bis vor wenigen Wochen noch in einem Hotel, welches sich insbesondere auf amerikanische Touristen spezialisiert. Nach rund 20 Jahren in der Tourismusbranche ist sie nun gezwungen, sich anderswo nach Arbeit umzusehen. Die alleinerziehende Mutter liebte ihren Job als leitende Concierge. „Aber jetzt kann ich nicht einmal in ein anderes Hotel, weil es nirgends Arbeit gibt”, erzählt sie.
Schon im März wurde ihre Arbeitszeit auf einen Tag pro Woche reduziert. „Es gab einfach nichts zu tun, weil wir keine Gäste hatten. Ich habe nur administrative Dinge erledigt”, erinnert sich Szilvia. Doch im August habe sich dann wieder Hoffnung breitgemacht. Der Inhaber des Hotels zeigte sich vorsichtig optimistisch und hielt die Kollegen dazu an, sich langsam auf die Nachsaison vorzubereiten. Es wurden sogar Leute wieder eingestellt. Auch Szilvia wurden mehr Stunden in Aussicht gestellt. „Am 1. September sollte alles wieder eröffnet werden. Wir haben Dienstpläne erstellt und alles.”
Doch der Optimismus währte nicht lang. Mit der Verkündung der neuerlichen Reisebeschränkungen lösten sich alle Hoffnungen in Rauch auf. „Allein bei uns wurden 80 Leute entlassen”, berichtet Szilvia. Obwohl sie die Entscheidung der Geschäftsführung versteht, fällt es ihr doch schwer, zu gehen: „Ich liebe meinen Beruf und auch die Rückmeldung der Gäste hat mir gezeigt, dass ich gut darin bin. Ich kann es aber noch so sehr wollen, vorerst gibt es kein Zurück in diese Branche.”
Gastronomiearbeiter unter Druck
Katalin und ihr Ehemann wurden ebenfalls schwer von der Krise getroffen. Beide sind Anfang 30 und sind seit Jahren in der Gastronomie beschäftigt: „Im März arbeiteten wir gemeinsam in einem Lokal, dessen Kundschaft zu 90 Prozent aus Ausländern besteht. Wir waren beide auf 20-Stunden-Basis angemeldet, haben aber in Wirklichkeit wöchentlich vier Mal neun Stunden gearbeitet und so zusammen rund 300.000 Forint verdient.” Am 13. März machte das Lokal „auf unbestimmte Zeit” dicht, zahlte seinen Mitarbeitern die bis dahin gearbeiteten Tage aus und gab ihnen pro Kopf noch 100.000 Forint als Vorschuss mit. „Daraus ist seitdem wohl eher ein Geschenk geworden”, stellt Katalin fest.
Sie und ihr Mann hielten sich streng an die Sicherheitsmaßnahmen, da Katalins Mann chronisch krank und somit durch eine COVID-Erkrankung besonders gefährdet wäre. Doch nach rund einem Monat des Hoffens, Bangens und Abwartens mussten sie tätig werden.
„Es brauchte eine Weile, bis wir verarbeitet hatten, dass wir beide effektiv von einem Moment auf den anderen arbeitslos geworden sind. Ich sage deswegen effektiv, weil es zu Anfang noch hieß, dass uns unser Lokal wieder zurückerwartet, sobald sich die Situation beruhigt hat. Diesbezüglich haben wir jetzt aber nur noch wenig Hoffnung.”
Lohndumping im Zuge der Krise
Mit ebenso wenig Hoffnung machten sie sich zum Arbeitsamt auf, um Arbeitslosengeld zu beantragen. Dort offenbarte sich ihnen ein Problem, das sie mit vielen Gastronomiearbeitern teilen: Da sie offiziell nur mit minimaler Stundenzahl beschäftigt waren, standen ihnen nun jeweils nur 12.000 Forint im Monat zu. „Der Aufwand und der Papierkram, den wir dafür auf uns hätten nehmen müssen, war uns dann doch zu viel”, erzählt Katalin. Ihre Eltern halfen dem jungen Ehepaar aus, doch Arbeit musste her: „Wir haben uns für alles beworben, für das es keine Fachkenntnisse braucht, da wir beide bisher fast ausschließlich in der Gastronomie gearbeitet haben. Ich hatte kein Glück, aber mein Mann fand eine Stelle bei einer Baufirma.”
Was Katalin in Rage bringt, ist, dass einige Unternehmen dem Augenschein nach versuchen, vom Elend der Menschen zu profitieren: „Ich habe zweieinhalb Monate nichts anderes gemacht als nach Arbeit zu suchen. Ich hätte zwar als Pizzabäckerin anfangen können, aber dort wo es früher 1.800 Forint pro Stunde gab, wurden mir jetzt 1.000 Forint Stundenlohn geboten – für dieselbe Arbeit!”
Katalin erhielt auch ein Angebot von einem Fast-Food-Restaurant. Für 1.050 Forint pro Stunde, so sagt sie und fügt entgeistert hinzu: „Brutto.” Dort hätte man sie aber wenigstens regulär beschäftigt. „Aber dann rief ein anderes Restaurant an, ein innerstädtisches Lokal, welches vorrangig Büroarbeiter und Anwohner zur Mittagszeit bekocht. Dort bot man ihr netto 1.200 Forint pro Stunde. „Aber eben ohne Anmeldung”, bedauert Katalin.
In der Gaststätte hielt sie es nach eigenen Aussagen nicht lange aus, da es dort vor Ungeziefer nur so gewimmelt habe. Außerdem war nur die Mittagszeit stark frequentiert, sodass die junge Frau nicht genügend Stunden zusammenbekommen habe. „Jetzt bin ich in einer Konditorei etwas außerhalb des Stadtzentrums beschäftigt. Hier bekomme ich zwar auch nur 1.140 Forint Stundenlohn und bin nur tageweise angemeldet, aber die Chefs sind zumindest nett und die Kundschaft besteht aus Anwohnern, was es momentan vielleicht sicherer macht.”
Die Grenzschließung hatte auf Katalins Leben einen massiven Einfluss. Sie sagt: „In der Gastronomie verdient man nur da gut, wo Touristen sind. Jetzt müssen wir mit Jobs überleben, in denen man einfach wesentlich weniger verdient.”
Nicht überall karger Sommer
Doch der Sommer war nicht überall von der Corona-Krise überschattet. Rebeka, die in einem Freiluftlokal mit überwiegend ungarischer Kundschaft arbeitet, erzählt: „Wir haben diesen Sommer unsere eigenen Rekorde übertroffen.” Für das Lokal in Óbuda liefen die wärmsten Wochen des Jahres ausgesprochen gut. „Es gab zwar Firmenevents, die wegen Corona abgesagt wurden, aber über leere Tische mussten wir uns dieses Jahr wirklich keine Sorgen machen.”
Doch Rebeka weiß, dass nicht alle ihre Freunde und Kollegen so viel Glück hatten: „Ich habe von Bekannten gehört, die unter fadenscheinigen Gründen entlassen wurden. Angeblich hätten rund 100.000 Forint in der Kasse gefehlt und deswegen wurden sie gefeuert. Aber das ist Blödsinn.” Das Lokal, in dem ihre Bekannten bisher gearbeitet haben, sei zwar noch geöffnet, operiere aber gerade, so weiß Rebeka, mit drastisch reduziertem Personal.
Wenig Hoffnung für Hoteliers
Hoteliers in Budapest und Ungarn sehen der Zukunft seit der Grenzschließung wenig hoffnungsvoll entgegen. Die linksliberale Wochenzeitung hvg veröffentlichte sogar die Prognose, dass „so gut wie alle Hotels in Budapest dichtmachen werden.”
Warum die Regierung eine so rigorose Maßnahme wie die neuerliche Grenzschließung für notwendig hielt, ist noch immer fraglich. Selbst der höchste Infektiologe des Landes, Dr. János Szlávik, sagte gegenüber dem Fernsehsender HírTV, dass der Großteil der neuen Infektionen nicht von außen eingeschleppt werde. Stattdessen würden sich die Menschen „auf Hochzeiten und Parties” infizieren, bei denen die Regeln des Social Distancing nicht ausreichend befolgt werden.
Die Regierung versucht nun, die negativen Folgen der Grenzschließung aufzufangen. Ab dem 20. September sollen sich Unternehmen in der Tourismusbranche voraussichtlich auf einen zinsfreien Kredit über bis zu 250 Millionen Forint mit einer dreijährigen Laufzeit bewerben können. Ob dies jedoch die massiven Ausfälle ausgleichen kann, bleibt abzuwarten.