Balázs Hidvéghi (Fidesz) wies bei der LIBE-Tagung mal wieder darauf hin, dass es das ungarische Parlament noch gibt. (Foto: Facebook)

Eindrücke von der LIBE-Tagung zu den Corona-Maßnahmen der EU-Länder

„Eine jämmerliche Debatte“

Während die Regierungschefs der Mitgliedsstaaten am vergangen Donnerstag über die Bewältigung der Krise berieten, tagte – wie im vorigen BZ Magazin angekündigt – ein Ausschuss des EU-Parlaments (EP), um eine „Bewertung der von den Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie ergriffenen Sofortmaßnahmen, einschließlich der Lage in Ungarn, und ihrer Auswirkungen auf die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechte“ vorzunehmen.

Die Debatte im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) brachte insbesondere ein erschreckendes Verhältnis zur Realität zu Tage. Daran änderte auch nichts, dass wenige Abgeordnete die zahlreichen Falschbehauptungen bedauerten, die seit Tagen vor allem auch durch deutsche Medien über Ungarn verbreitet werden. So wies etwa Balázs Hidvéghi (Fidesz) darauf hin, dass das Budapester Parlament nicht „außer Kraft gesetzt“ worden sei, sondern unverändert seine Arbeit verrichte.

Unwidersprochene Fake News über Ungarn

Die linksliberale Abgeordnete Sophie in’t Veld tat das Bemühen um Aufklärung als „Fidesz-Propaganda“ ab, die sie „ignorieren“ werde. Die Niederländerin ist Vorsitzende der sogenannten „Monitoring-Gruppe“ des LIBE-Ausschusses, welche die Beachtung der EU-Grundwerte in den Mitgliedsstaaten beobachten will. Sie besteht aus einer Handvoll Abgeordneten; in’t Velds eigene Partei „Democraten 66“ verfügt im EP über genau zwei Sitze.

Andere Abgeordnete durften unwidersprochen etwa über die „Enteignung von Industriebetrieben“ durch die Regierung in Budapest sprechen oder sich sogar auf die Behauptung versteifen, in Ungarn sei die Verfassung außer Kraft gesetzt worden, wie die Abgeordnete Anna Júlia Donáth (Momentum). Sie gehört wie in`t Veld der Fraktion Renew Europe im EP an.

Unwidersprochen blieb auch die Behauptung der Abgeordneten Björk Malin (Vereinigte Linke), wonach Ungarn angeblich mehr Gelder der EU zur Bekämpfung der Corona-Folgen erhalte als Italien. Eine Falschbehauptung, die sich anhand der Zahlen der EU-Kommission leicht widerlegen lässt (siehe BZ heute vom 21. April). Angesichts solcher wiederholter Falschbehauptungen bezeichnete der Italiener Nicola Procaccini (Europäische Konservative) den ganzen Vorgang dann auch als eine „jämmerliche Debatte“.

Selektive Betrachtung

In Bezug auf die Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone (siehe dazu ebenfalls BZ heute vom 21. April) meinten einige Abgeordnete, die Regierung hätte oppositionsgeführte Kommunen „enteignet“ und ihrer sämtlichen Finanzmittel „beraubt“. Über den Schutz der Investitionen des Samsung-Konzerns zur Schaffung von 2.700 Arbeitsplätzen sprach freilich niemand.

Nach Ansicht von Beobachtern verletzt das Brüsseler Parlament mit seinem Vorgehen selbst die Grundregeln der Union. So verletzt es etwa das wesentliche Prinzip der Subsidiarität. Es besagt, dass Entscheidungen möglichst dort getroffen werden, wo sie sich auswirken, also vor Ort. Die Organe der EU sollen nur dann zuständig sein, wenn dies zur Wahrung der Einheitlichkeit im Binnenmarkt und des freien Wettbewerbs erforderlich ist. Für den Streit um Göd dürfte das kaum zutreffen.

Auch das Recht auf Muttersprache scheint man im „demokratischsten Gremium“ der EU (in’t Veld) vergessen zu haben. Die Debatte über die Grundwerte in Ungarn und Polen wurde vorwiegend in Englisch geführt und in die Sprachen Deutsch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Niederländisch übersetzt. Ob man die gute Hälfte der Europäer im Osten und Südosten der EU bedauern soll, die das Parlament diesmal sprachlich von dieser Veranstaltung ausschloss, darf allerdings bezweifelt werden. Immerhin blieben ihnen dadurch so manche „Jämmerlichkeiten“ erspart.

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