Interview mit Pál Győrfi, dem Sprecher des Landesrettungsdienstes
Die Impfung ist das Licht am Ende des Tunnels
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Wurde Ihnen bereits ein Mikrochip von Bill Gates eingepflanzt?
Es ist unglaublich, welchen Unsinn man im Internet lesen kann. Da wird uns mal mit der Schutzimpfung ein Chip verabreicht, um unsere Bewegungen zu verfolgen. Andere wiederum sind davon überzeugt, man spritze uns Gift in die Adern. Dieser Blödsinn könnte einen ja im Grunde genommen erheitern, würden nicht Menschenleben dadurch auf dem Spiel stehen, wie sich die Gesellschaft zur Frage der Schutzimpfung verhält. Immer mehr Menschen informieren sich überwiegend aus den Sozialmedien, was uns allen eine große Verantwortung aufbürdet. Diese haltlosen Verschwörungstheorien machen mich traurig, weil ich mich häufig ohnmächtig fühle, etwas dagegen tun zu können.
Sie wurden kürzlich selbst geimpft. Wenn Sie uns schon nicht von dem Chip erzählen wollen, dann vielleicht etwas von irgendwelchen fatalen Nebenwirkungen?
Was für Nebenwirkungen bei einer Schutzimpfung auftreten, hängt weniger vom Impfstoff als von der Person des Empfängers ab. Es gibt Menschen, denen nach jeder Impfung die Muskeln wehtun, andere merken überhaupt nichts. Ausgesprochen selten können sich allergische Reaktionen einstellen. Ich spürte nichts dergleichen. Beim Landesrettungsdienst (OMSZ) haben die ersten eintausend Mitarbeiter die Impfung erhalten, ohne ernsthafte Nebenwirkungen. Einigen tat lediglich der Einstich an sich weh, denn die Nadel kann natürlich Nervenenden treffen.
Es gibt Zeitungsmeldungen von chaotischen Zuständen bei der Impfung der Mitarbeiter des Gesundheitswesens. Die Ärztekammer fordert eindeutige Prioritäten. Was sind Ihre Erfahrungen?
Ich erhielt meine Impfung in einer Klinik der Semmelweis-Universität, alles verlief reibungslos. Zu den Kritiken an der Impfreihenfolge: Ich finde es lobenswert, dass Mitarbeiter des Gesundheitswesens eindeutig vorangestellt werden. Es hat mich tief berührt zu sehen, wie in den Wartesälen Ärzte und Schwestern die gewöhnlich für Patienten vorgesehenen Plätze belegen. Hier erhalten Menschen eine Schutzimpfung, die ihr Leben der Heilung anderer verschrieben haben. Wir erleben eine bemerkenswerte Vermengung der Rollen von Rettern und Geretteten.
Wissen Sie von Rettungssanitätern, die sich nicht impfen lassen wollen?
Das erheben wir gerade erst. Die Schutzimpfung ist auch für die Mitarbeiter des Gesundheitswesens freiwillig. Allerdings kommt die Verantwortung für die Gemeinschaft hier wohl mehr zum Tragen. Denn Ärzte und Pfleger ohne Schutzimpfung gehen nicht nur persönlich ein großes Risiko ein, sie werden auch selbst zum Risikofaktor für ihre Patienten. Zum Glück ist die Impfbereitschaft gerade in den kritischen Bereichen der Intensivmedizin und der Rettungssanitäter grundsätzlich am höchsten. Diese Mitarbeiter sehen Tag für Tag die Leiden und Verluste, die das Coronavirus verursacht.
Andere Mitarbeiter des Gesundheitswesens, die nicht täglich mit den Auswüchsen der Pandemie am eigenen Leib konfrontiert werden, verhalten sich eher wie die Gesellschaft allgemein. Da können die gleichen Ängste Oberhand gewinnen, wie bei einem Durchschnittsbürger. Ich kann das nachvollziehen, denn die Angst vor dem Neuen ist eine natürliche Eigenschaft des Menschen. Was mich wütend macht, ist, wenn diese Ängste von bestimmten Leuten aus politischen Gründen oder von persönlichen Ambitionen angetrieben bewusst geschürt werden. Es tut mir leid um jene, die sich in diesem Wust an Informationen nicht mehr zurechtfinden. Aber genau da liegt meine Aufgabe als Kommunikationsexperte, diese unsicheren Menschen an die Hand zu nehmen und auf den richtigen Weg zu bringen. Leider ist ein Ende der Corona-Pandemie nicht in Sicht, ganz im Gegenteil: uns bedroht jetzt sogar eine weitaus aggressivere Mutation.
Verschiedene Erhebungen zeigen, dass nur eine Minderheit der Bevölkerung entschlossen ist, sich impfen zu lassen. Wie wollen wir so die Herdenimmunität erreichen?
Ich würde es nicht an der Herdenimmunität festmachen wollen. Dafür müssten mehr als sechzig Prozent der Ungarn geimpft sein; während viele abwarten, um zur verbleibenden Minderheit zu gehören, die quasi automatisch vom Herdenschutz profitiert. Dabei verlangt die Corona-Pandemie von uns zu begreifen, dass wir nicht davor gefeit sind – auch durch Jugend nicht –, von der Infektion mit dem Virus unter Umständen schwerer getroffen zu werden. Dieses Risiko sollte keiner auf sich nehmen. Dabei sollte man nicht nur an sich selbst denken, sondern an jene, die wir anstecken könnten! Vielleicht kommen wir mit schwachen Symptomen davon, andere aber bezahlen dafür möglicherweise mit ihrem Leben.
Wie wollen Sie die Zweifler überzeugen?
Wir befinden uns erst am Anfang der Impfkampagne, es besteht kein Grund zur Panik. Noch überwiegen Unsicherheiten, gerade bei Menschen, die in allen Dingen behutsam vorgehen und nichts im Leben als erste ausprobieren wollen. Diese Bevölkerungsgruppe wird sich im Laufe der Zeit zunehmend beruhigen, wenn sich zeigt, die Schutzimpfungen verlaufen ohne großes Risiko.
Die Öffentlichkeit wird aber gleichzeitig von den Virusskeptikern aufgeheizt. Deretwegen gibt es Stimmen, die ein härteres Durchgreifen fordern, ja sogar eine allgemeine Impfpflicht.
Das ist eine komplexe Frage von philosophischem, ideologischem und juristischem Belang. Wir leben in einem Rechtsstaat, der den Wert des Selbstbestimmungsrechts hochhält und dieses Recht nur in wirklich extremen Fällen einschränken will. Es könnte eine Gesundheitskrise eintreten, die eine Impfpflicht erforderlich machen würde, aber die Corona-Pandemie rechtfertigt so etwas zum Glück nicht.
Dessen ungeachtet kann es uns nicht gleichgültig lassen, wie viele Menschen an Covid-19 sterben und wie viele Corona-Patienten auf Intensivstationen behandelt werden müssen. Beispiele aus dem Ausland haben uns gezeigt, dass die Überlastung der Intensivkapazitäten sehr wohl zu einem Zusammenbruch des Gesundheitswesens führen kann.
Das konnten wir während der ersten Welle zum Glück vermeiden.
Damals gab es auch keine Virusskeptiker, denn alle hatten Angst vor dem unbekannten Feind, die Gesellschaft verhielt sich solidarisch. Im April hätte sich wohl jeder ohne zu zögern impfen lassen. Seither haben wir mehr als zehntausend Mitmenschen durch das Coronavirus verloren, und dennoch verfallen viele Leute kruden Theorien. Vermutlich ist daran die unüberschaubare Informationsflut schuld. Ich kann jedem nur raten, den von Privatpersonen ohne Bezug zur Materie in den Sozialmedien verbreiteten „Nachrichten“ mit gesunder Skepsis zu begegnen. Nur weil tausend Leute auf Facebook ihr „Like“ unter die Meldung setzen, die Erde sei eine Scheibe, muss das nicht wahr sein.
PÁL GYŐRFI wurde 1964 in Budapest geboren, er ist verheiratet und Vater von vier Kindern. Er wuchs in einer Musikerfamilie auf, wollte aber unbedingt Medizin studieren. Weil ihm nach dem Gymnasium der Zugang zur Universität verwehrt blieb, arbeitete er zunächst als Notfallsanitäter beim Landesrettungsdienst (OMSZ). Später holte er das Wunschstudium nach und machte gleich zwei Abschlüsse als Rettungssanitäter sowie als Gesundheits-PR-Experte an der Semmelweis-Universität. Auf das Studium folgte eine Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der SmithKline Beecham Consumer Healthcare Kft. (heute: GlaxoSmithKline Kft.), gepaart mit einem Nebenjob als Rettungssanitäter im Nachtdienst. Seit 2002 ist Győrfi Sprecher des OMSZ, unterrichtet angehende Sanitäter, hält Vorträge und Trainings.
Also helfen Sie uns, mehr Durchblick in diesem Informations-Dschungel zu erlangen: Kann jemand, der geimpft wurde, noch immer andere anstecken?
In Form einer Schmierinfektion tatsächlich, also wenn ich beispielsweise einen mit Coronaviren kontaminierten Apfel an jemanden weitergebe, der diesen isst und sich dadurch ansteckt. Aber seien wir doch ehrlich: Zumeist wird das Virus durch Husten und Niesen von Mensch zu Mensch übertragen. Diese Form der Ansteckung fällt aus, wenn ich geimpft bin. Es ärgert mich schon, wenn Leute vom Fach in Medien kundtun, auch Geimpfte können weiter ansteckend sein.
Was halten Sie von Ideen, Reisen, Konzertbesuche und so weiter von einem Impfpass abhängig zu machen?
Es ist schwierig zu entscheiden, ob man die Bürger auf diese Weise motivieren sollte, die Schutzimpfung im Interesse der Gemeinschaft zu wagen. Impfgegner könnten das als Diskriminierung empfinden. Dabei stellt sich die berechtigte Frage, ob und wie wir zu Normalität in unserem Leben zurückkehren wollen. Zum Glück muss nicht ich diese Entscheidungen treffen.
Ein Ärztefunktionär warf in die Debatte ein, wer sich nicht impfen lassen wolle, müsste die Kosten selbst tragen, sollte er einst auf der Intensivstation landen. Ist das nicht Erpressung?
Die Logik dieses Gedankengangs erscheint nachvollziehbar, dennoch ist eine solche Aussage gewagt. Ich würde die Bürger eher dazu animieren, sich um ihren Gesundheitsschutz zu sorgen – da bietet der Impfstoff momentan eine große Hilfe.
Was sagen Sie dazu, dass die mRNA-Technologie, also gewissermaßen die Funktionsweise der modernen Impfstoffe, mit dem Namen der ungarischen Forscherin Katalin Karikó verbunden ist?
Das freut mich natürlich. Es ist ein weiteres glänzendes Beispiel dafür, welche Werte ungarische Talente der Welt vermittelt haben – wir sind ein kleines Land, mit großen Köpfen. Das Beispiel von Katalin Karikó sollte Ansporn für unsere Kinder sein, dass man es auch aus einem kleinen Ort in der Tiefebene zu Weltruhm schaffen kann.
Sie waren das Gesicht der Werbekampagne „Bleib zuhause!“ und werden für immer neue Memes verwendet. Nervt Sie das nicht?
Ich liebe die Memes. Im Frühjahr, als diese Werbung lief, hatten wir keinen Schimmer, was die Lösung sein wird, heute sehen wir ein Licht am Ende des Tunnels. Ich hatte von Anbeginn dieser Corona-Pandemie mit ihren anstrengenden Notstandsregeln das Gefühl, ein Lächeln und Humor kann viel bewirken. Manche Memes habe ich selber geteilt. Am meisten freut mich, dass diese bei den Kindern gut ankommen und sie mich heute bestens kennen. Immer wieder höre ich auf der Straße: „Schau mal, da kommt Herr Bleib zuhause“ oder „Das ist doch Onkel Pali“. Für uns, die wir im Gesundheitswesen tätig sind, ist es wichtig, Kontakt zu den Jüngsten zu finden, um sie zu einer gesunden Lebensweise zu animieren.
Vielleicht wird aus dem einen oder anderen ja an Stelle eines Bankiers oder Ingenieurs ein Rettungssanitäter. (…)
Ich würde statt „Entweder Impfung oder Lockdown“ eher ein „Schützen wir uns!“ in der Impfkampagne propagieren, denn Gesundheit und Sicherheit sind die wichtigsten Güter unseres Lebens. Erfolge in der Wirtschaft lassen sich nicht erreichen, wenn Gesundheit und Sicherheit grundlegend gefährdet sind. Das vergessen wir nur zu leicht inmitten der tagtäglichen Hatz nach Geld und Karriere.
Verraten Sie uns abschließend noch Ihr Lieblings-Meme?
Da bin ich so um die hundert Jahre alt und bitte die Leute unverdrossen, weiter zu Hause zu bleiben. Natürlich wird es dazu nicht kommen.
Aus dem Ungarischen übertragen von Rainer Ackermann.
Das hier gekürzt wiedergegebene Interview von Noémi Konopás erschien ursprünglich Mitte Januar im konservativen Wochenblatt Mandiner.