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Die Sanierung der maroden Brücke wird frühestens im März 2021 beginnen. Foto: BZT/ Nóra Halász

Ein Jahr Budapest unter dem oppositionellen Oberbürgermeister Gergely Karácsony

Viel Geld und viele Einwände

In welchem Zustand hat Gergely Karácsony die Hauptstadt übernommen und welche Versprechen konnte er einlösen? Wie steht es um die Finanzlage von Budapest und was ist dran an den ständigen Reklamationen des Oberbürgermeisters? Lesen Sie eine Bilanz des ersten Jahres der neuen Stadtführung.

„Am 14. Oktober werden wir in einem anderen Land aufwachen. In einem Land, das die Politik an den ihr zustehenden Platz rückt, damit sie den Menschen wieder dienen kann.“ Diese Worte sprach Gergely Karácsony in der Nacht des 13. Oktober 2019, nachdem er mit 50,86 Prozent der Stimmen zum Oberbürgermeister von Budapest gewählt worden war. In dem seither verstrichenen Jahr kam es zu einem regelrechten Kalten Kommunikationskrieg zwischen der neuen Stadtführung und der Regierung. Erstere beklagt die sogenannte Budapest-Steuer und allgemein, „ausgeblutet“ zu werden, die Regierung wiederum wirft dem Oberbürgermeister vor, das Entwicklungstempo abzubremsen und seine gemachten Versprechen zu brechen.

Verkehr und Parken

„Mein Budapest wird auch deshalb ein anderes sein, weil wir sagenhaft viele P+R-Parkplätze einrichten werden“, erklärte Karácsony noch im Wahlkampf. Zu sehen sind diese neuen P+R-Standorte nicht sonderlich, ganz im Gegenteil will die neue Stadtführung EU-Fördermittel im Volumen von 3 Mrd. Forint, die ursprünglich für diese Zwecke bereitgestellt wurden, lieber in den Ausbau des O-Bus-Netzes umleiten. Derweil wurden die vorhandenen Parkplätze vielerorts noch teurer. Im 13. Stadtbezirk wird heute längs der Ringstraße Szent István körút der Höchsttarif von 525 Forint pro Stunde verlangt, im Umkreis der Margarethenbrücke wurden die Tarife verdoppelt.

Auf den Zuschuss für Nahverkehrstickets warten die Bürger noch heute. Foto: MTI/ Zoltán Balogh

Früher stellte der Oberbürgermeister klar, dass „alle mit der Erhebung von Parkgebühren zusammenhängenden Einnahmen und Ausgaben transparent gemacht werden müssen“, unvorteilhafte Verträge seien aufzulösen. In Wirklichkeit wurden solche dubiosen Verträge nicht aufgelöst, sondern noch vermehrt. So gewann die Ausschreibung für Parkscheinautomaten im 7. Stadtbezirk jene C-Ware Kft., deren früherer Inhaber András Kupper von einem Gericht wegen Betrugs in achtzigtausend Fällen verurteilt worden war. Im 14. Stadtbezirk ließ der nunmehr sozialistische Bürgermeister inmitten der Notstandslage sechsundsiebzig neue Parkuhren aufstellen, zum Stückpreis von mehr als zwei Millionen Forint.

Kein kostenfreier ÖPNV für Kinder unter vierzehn Jahren

Karácsony versprach im Wahlkampf des Weiteren, den Nahverkehr für Kinder unter vierzehn Jahren kostenlos zu machen. Nur wenige Tage im Amt, reduzierte er diese Zusage auf Kinder unter sieben Jahren und Personen auf Arbeitssuche. Bald räumte er ein, das sei ein „gewaltiger Betrag“ – im Wahlkampf hatte sein Team mit 1-2 Mrd. Forint kalkuliert, wobei der gesellschaftliche Nutzen die Kosten eindeutig überbieten würde. Neuerdings verlegt er sich auf ein System der stufenweisen Einführung von Vergünstigungen.

Weder die großartig versprochenen Ticketpreissenkungen wurden verwirklicht, noch sind jene 67.000 Forint in Sicht, die der Oberbürgermeister jedem erwachsenen Bürger der Stadt als Jahreszuschuss für die Nutzung des Nahverkehrs geben wollte. Davon hatte sich sein Stab letztlich steigende Einnahmen der Verkehrsbetriebe erhofft, bis sich das System am Ende selbst finanziert hätte.

Schleppend kommt die Modernisierung des Fahrzeugparks der Buda­pester Verkehrsbetriebe voran: Die Verkehrszentrale BKK hatte vor drei Jahren zwei Dutzend CAF-Straßenbahnen bestellt, von denen knapp die Hälfte angeliefert wurde. Aber kaum eine der Bahnen verkehrt. Die BKK erklärte die Verzögerungen immer wieder mit technischen Fehlern, was Verkehrspolitiker des Regierungslagers mit Dokumenten widerlegen. Für den Chef des Budapester Entwicklungszentrums (BFK), Dávid Vitézy, ist unverständlich, was hier vor sich geht. Der enorme Zeitverzug könnte zum Verlust von Fördermitteln der Europäischen Union führen.

Unter OB Karácsony verzögert sich die Sanierung der Kettenbrücke noch weiter

Doch nicht nur bei den Straßenbahnen befindet sich die Hauptstadt in Verzug: Die wohl am heftigsten umstrittene Sache ist die Sanierung der Kettenbrücke. Eigentlich brauchte das Karácsony-Team nur die fertigen Pläne zu übernehmen und die öffentliche Ausschreibung anzupassen, aber selbst dafür wurden neun Monate benötigt. Obendrein erklärte die Behörde die neue Dokumentation für rechtswidrig, weil darin eine Vorschrift zu Referenzzeiten der Bieter ausgehebelt werden sollte.

Tatsächlich wollte die neue Stadtführung verhindern, dass Firmen des Fidesz-nahen Geschäftsmannes Lőrinc Mészáros zum Zuge kommen. Nach diesem politischen Hick-Hack bewarben sich zehn Monate später vier Firmen als Bieter für die neue Ausschreibung – genau die gleichen Firmen, wie ursprünglich. Die Sanierung der maroden Brücke wird nun frühestens im März 2021 beginnen können.

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Die dringend erforderliche Sanierung der Kettenbrücke wurde unter OB Gergely Karácsony weiter verzögert.  Foto: BZT/Nóra Halász

 

Ratingagentur: Budapest ist robust

Die Ratingagentur Moody´s hat den Ausblick der Bonität der ungarischen Hauptstadt inmitten der Corona-Krise von stabil auf positiv angehoben. Das Rating „Baa3“ für die Devisen- und Forint-Schulden von Budapest wurde bekräftigt. Zur Begründung hieß es, die Liquidität der Hauptstadt sei robust, die Wirtschaft widerstandsfähig. Weil Budapest vor der Krise nur mäßig verschuldet war, dürfte es den Corona-Schock relativ gut wegstecken können. Gemessen an anderen Städten mit ähnlichen Parametern verfüge die ungarische Hauptstadt über ausreichende Reserven, um den Tiefpunkt erfolgreich zu überwinden.

 

Die Corona-Pandemie hat die Stadtführung ebenfalls überfordert. Der größte Skandal ereignete sich im Altenheim in der Pesti út, einer städtischen Einrichtung. Dort wurden 312 Bewohner und 26 Mitarbeiter positiv getestet, 55 alte Menschen starben an dem Virus. Derweil war der Oberbürgermeister mit Maßnahmen der „Verkehrsberuhigung“ beschäftigt: Mitte März freute es ihn, dass weit weniger Menschen in den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind – so sinke die Ansteckungsgefahr.

Parallel dazu verfügte Karácsony, dass die BKK in der Notstandslage weniger Busse und Bahnen einsetzen solle. Mit dem Resultat, dass sich die Menschen in den zu Stoßzeiten überfüllten Verkehrsmitteln wie die Heringe fühlen mussten. Es brauchte geschlagene acht Tage, ehe die Stadt wenigstens auf einigen Linien wieder mehr Fahrzeuge einsetzte.

Das angebliche Ausbluten der Kommunen

Immer intensiver bemüht die Opposition die These, die Regierung blute die Kommunalverwaltungen aus. Das ist ein großartiger Vorwand, um schwache Leistungen der neuen, von der Opposition gestellten Bürgermeister zu kaschieren. Karácsony spricht nicht nur davon, sondern droht bereits mit Einschnitten, einer erhöhten Gewerbesteuer und dem Stopp von Großprojekten sowie von Lohnerhöhungen bei den Kommunalbetrieben. Aber wie geht es Budapest finanziell wirklich?

Zunächst einmal war die Hauptstadt der größte Nutznießer der Schuldenkonsolidierung, die von der Orbán-Regierung zwischen 2011 und 2015 vorgenommen wurde. Dabei übernahm der Staat von Budapest allein 375,6 Mrd. Forint an Schulden und landesweit 1.421 Mrd. Forint, mit denen weitere Städte und Gemeinden verschuldet waren. Während ungefähr jeder sechste Ungar in der Hauptstadt zu Hause ist, erreichte ihr Anteil an der Schuldenkonsolidierung ein gutes Viertel. Die Einnahmen aus der örtlichen Gewerbesteuer verdoppelten sich zwischen 2010 und 2019 nahezu, nämlich von 85 auf 164 Mrd. Forint.

Weil die Gewerbesteuer die mit Abstand wichtigste Einnahmequelle darstellt, liegt es im Interesse jeder Stadt, Wachstum und Wirtschaftsleistungen zu stimulieren. Wenn Budapest aber nun Sparmaßnahmen und höhere Steuern in Aussicht stellt, schneidet man sich auf lange Sicht ins eigene Bein.

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Bauarbeiten am Zankapfel Liget-Projekt: Die Torpedierung dieses ambitiösen Projektes gehörte zu den wichtigsten Wahlversprechen des OB. Fotos: Facebook/ Liget Budapest

Solidaritätsbeitrag bleibt bei den Kommunalverwaltungen

Seit 2017 gibt es den sogenannten Solidaritätsbeitrag, den die Linke neuerdings Budapest-Steuer nennt. In Wirklichkeit zahlen 135 Städte, die als wohlhabend gelten, auf der Grundlage einer einheitlichen Formel Steuern, um den ärmeren Städten und Gemeinden beizustehen. Die Hauptstadt wurde von dieser Lastenteilung ursprünglich verschont, doch bereits unter Oberbürgermeister István Tarlós wurde ein Kompromiss getroffen, wonach Budapest ab 2018 in vier Stufen schrittweise an dem Solidaritätsbeitrag beteiligt wird. In diesem Sinne hat Budapest in diesem Jahr 21 Mrd. Forint, im kommenden Jahr 36 Mrd. Forint beizutragen. Dieses Geld fließt nicht an den Fiskus, sondern bleibt bei den Kommunalverwaltungen.

Parallel hierzu erhalten die Städte und Gemeinden im kommenden Jahr aber bereits 857,8 Mrd. Forint an Zuwendungen aus dem Staatshaushalt. Das ist wieder ein Sechstel mehr, als in diesem Jahr fließen (exakt 735,8 Mrd. Forint sind es laut Haushaltsplan 2020). Als 2009 die Regierung unter Gordon Bajnai im Krisenmanagement an die Stelle der abgewirtschafteten Gyurcsány-­Regierung trat, strich sie den Kommunen gleich mal 120 Mrd. Forint. In der Corona-Krise nimmt der Staat immerhin die Einnahmen aus der Kraftfahrzeugsteuer an sich, 35 Mrd. Forint, die den Städten und Gemeinden verloren gehen. Unterm Strich befinden sich diese aber immer noch mit gut 85 Mrd. Forint im Plus.

Die diesjährigen Zuwendungen aus dem Staatshaushalt in Höhe von 22,8 Mrd. Forint für die Hauptstadt und nochmals 63,6 Mrd. Forint für die einzelnen Stadtbezirke werden 2021 auf 29,8 Mrd. Forint für die Hauptstadt und 86,4 Mrd. Forint für die Stadtbezirke zunehmen.

Das Tarlós-Vermächtnis

Unter Oberbürgermeister István Tarlós (2010-2019) realisierte die Hauptstadt gemeinsam mit dem Staat Investitionen im Gesamtvolumen von ca. 2.100 Mrd. Forint. Dabei entstanden so emblematische Bauten wie die Puskás-Arena, der Ludovika-Campus der Nationalen Verwaltungsuniversität (NKE), die Donau-Arena als Schauplatz der Schwimm-WM von 2017, Neubauten der Oper, am Parlament und im Millenniumspark, wurden der Kossuth tér vor dem und das Parlamentsgebäude selbst erneuert, ähnlich anspruchsvoll wie die Matthiaskirche, der Burggartenbasar, die Pester Redoute, das Museum der Schönen Künste am Heldenplatz oder die Moholy-Nagy-Kunstuniversität. Derzeit laufen Projekte im Gesamtvolumen von rund 4.250 Mrd. Forint, die von der vorherigen Stadtführung auf den Weg gebracht wurden.

Aus dem Ungarischen von Rainer Ackermann.

Lesen Sie dazu auch das Interview mit OB Gergely Karácsony.

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