Deutschsprachige Evangelische Gemeinde Budapest begrüßt neue Pfarrerin
Gute Traditionen bestärken
Keine fünf Wochen lebt Barbara Lötzsch nun in Ungarn, doch erste Alltagssituationen bewältigt sie bereits in ungarischer Sprache. Die Bestellung im Kaffeehaus klappt jedenfalls reibungslos und auch ein Telefongespräch mit einem ungarischen Handwerker hat die neue Pfarrerin der Deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde – quasi als Feuertaufe für ihre neuen Fremdsprachenkenntnisse – schon hinter sich. „Ich bin mir aber nicht sicher, ob er jetzt auch wirklich den Ofen reparieren wird oder am Ende nicht gar den Kühlschrank“, scherzt sie.
Mit viel Aufgeschlossenheit für Land und Leute
Die Gelegenheit erste ungarische Vokabeln aufzuschnappen bot sich Barbara Lötzsch aber bereits als Kind: „Ich komme aus dem Osten Deutschlands. Für uns DDR-Bürger war Ungarn sozusagen der kleine Westen. Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich mit meinen Eltern in Budapest und in der Puszta Urlaub gemacht habe“, erzählt sie. Doch auch als junge Erwachsene reiste Lötzsch nach Ungarn: „Im Sommer ’89, als die Stimmung hier schon am Gären war, war ich erneut mit meinem späteren Mann hier. Das Geld reichte entweder fürs Essen oder für eine Übernachtung, weshalb wir die Nacht am Ostbahnhof verbrachten. Ich weiß noch, wie wir am Bahnhof vor den Zügen standen, die in Richtung Westen fuhren. Wir hätten einsteigen können, haben uns aber bewusst dagegen entschieden“, erinnert sich Lötzsch.
Für die Rolle, die Ungarn bei der Grenzöffnung und dem Mauerfall spielte (im September 1989 öffnete das Land seine Grenze zu Österreich und ermöglichte Tausenden DDR-Bürgern die Ausreise in den Westen), sei sie dem Land ewig dankbar. Und auch heute beschreibt sie die ungarischen Landsleute als freundliche, herzliche und vor allem hilfsbereite Menschen, die auch dann Verständnis zeigen, wenn es mit der Kenntnis der Landessprache hapert.
Trotz aller Schwierigkeiten attestiert Barbara Lötzsch dem Ungarischen übrigens eine „bestechende Logik“. Obwohl ihr der sechswöchige Intensivsprachkurs mit dem sie sich noch kurz vor ihrem Umzug auf ihr neues Leben in Ungarn vorbereitete, zunächst nur die Grundlagen der Sprache vermittelt hat, zeigt die 49-Jährige keinerlei Berührungsängste: „Jeder Ungar, der mir unter die Nase kommt, muss jetzt mein Ungarisch ertragen“, sagt sie schmunzelnd.
An Offenheit und Aufgeschlossenheit für das fremde Land und seine Leute lässt es Barbara Lötzsch also nicht fehlen. Trotzdem wird Deutsch in den nächste sechs Jahren, für diese Zeit hat sie sich als Pfarrerin der Deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde in Budapest verpflichtet, ihre Arbeitssprache sein. Am 9. September wurde die Geistliche offiziell in ihr Amt eingeführt und wird fortan die Gottesdienste leiten, die Seelsorge anbieten sowie Konfirmandenkurse und den Religionsunterricht am deutschsprachigen Thomas-Mann-Gymnasium bestellen. „Ich merke jetzt sehr stark, wie wichtig Sprache im religiösen Bereich ist. Die Menschen haben den Wunsch, das Vaterunser in ihrer Muttersprache zu sprechen.“ Umso wichtiger findet Lötzsch daher auch Auslandsgemeinden, wie jene, die sie nun in Budapest übernommen hat.
Abenteuer Auslandsgemeinde
Die Deutschsprachige Evangelische Gemeinde gründete sich zu Beginn der Adventszeit 1993, ihren Sitz hat sie seitdem in der evangelischen Kirche am Bécsi kapu tér. Zur rund 200 bis 250 feste Mitglieder umfassenden Gemeinde gehören zahlreiche Expats, aber auch Ungarndeutsche und deren Nachfahren. „Wie bei vielen Auslandsgemeinden üblich, ist sie deutlich gemischter, als das bei Kirchgemeinden innerhalb Deutschlands der Fall ist. Hier kommen beispielsweise Menschen zusammen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen entschieden haben, sich in Budapest niederzulassen.“ Neben Geschäftsleuten und Arbeitnehmern, die ihrem Unternehmen nach Ungarn gefolgt sind und natürlich deren Familien, seien darunter auch einige ehemalige DDR-Bürger, die oft schon seit mehreren Jahrzehnten hier leben. Die Fluktuation innerhalb der Gemeinde sei relativ hoch. „Im September dauert es immer ein bisschen, bevor nach dem langen Sommerurlaub alles wieder in die Gänge kommt. Außerdem verabschieden sich am Ende des Sommers meist viele alte Mitglieder, während im Herbst neue dazukommen. Die Gemeinde muss sich dann jedesmal neu sammeln und sortieren“, so Lötzsch.
Anders als in Deutschland, wo die Gemeindezugehörigkeit über das offizielle Melderegister geregelt und die Kirchensteuer durch den Staat eingesammelt wird, gehört zur Deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde nur der, der einen Aufnahmeantrag unterschreibt und sich dafür einträgt, betont Barbara Lötzsch mit Nachdruck. Auch wenn dies einigen Mehraufwand bedeutet, sieht die Pfarrerin darin durchaus einen Vorteil, es stärke zum einen den Zusammenhalt – „wenn ich dabei bin, bin ich dabei und zahle dann natürlich auch meinen Beitrag.“ Zum anderen sorge es allerdings auch für mehr persönlichen Kontakt. „Wenn ich in Deutschland eine Gemeinde mit 800 Mitgliedern habe, ist das von der Größe und vom Arbeitsumfang her etwa genauso, wie wenn ich hier meine 200 Mitglieder betreue, da man in Deutschland mit einem großen Teil der Gemeinde einfach nie in Kontakt kommt“, erklärt sie.
Gemeinsam den Glauben leben
Die Frage, wo sie in den nächsten sechs Jahren mit ihrer neuen Gemeinde hin möchte, findet Lötzsch verwunderlich. „Diese Einstellung ist, denke ich, dem Pfarrberuf unangemessen. In erster Linie bin ich hier, um die Gemeinde zu begleiten, in den Dingen und Fragen, die für sie gerade wichtig sind. Es geht hier nicht um meine Ideen und wo ich hinwill, sondern darum, was die Gemeinde braucht und was ihr gut tut“, so die Pfarrerin. Natürlich bedürfe es dabei aber eines offenen Blickes dafür, welche Anliegen aktuell drängen. „Ich sehe, dass es hier bereits gute Traditionen gibt, die ich weiter bestärken möchte.“

Im Vordergrund steht für die Geistliche jedoch vor allem der Wunsch, gemeinsam den Glauben zu leben – und dies auch bereits mit den Kindern zu üben. Hier möchte sie gerade jungen Familien eine Hand reichen, „weil ich sehe, dass dies im Alltag eben nicht mehr selbstverständlich ist.“ Glauben zu üben, heißt für Lötzsch auch Rituale aufzubauen, etwa durch ein gemeinsames Tischgebet, die Erzählung von Bibelgeschichten und das Feiern kirchlicher Feste, und „sozusagen nachzuvollziehen, warum wir glauben.“ Dies bedeute auch, eine einfache und klare Sprache für zum Teil hoch abstrakte Inhalte des Glaubens zu finden.
Neben der Stärkung nach Innen, möchte Barbara Lötzsch ihre seelsorgerische Tätigkeit aber auch gerne für einen weiteren Personenkreis öffnen: „Ich denke, es ist eine große Chance, dass wir oben auf dem Burgberg sind. Es kommen immer mal wieder Touristinnen und Touristen herein. Auch ihnen möchte ich ein Angebot machen, ebenso wie denen, die sich vielleicht nur für eine begrenzte Zeit in Budapest aufhalten.“ Der Gottesdienst, betont sie, stehe jedem offen. Und egal, wer da ist, wir sind in dem Moment eine Gemeinschaft. Hier sieht sie auch eine große Chance für Menschen, die gerade frisch in Budapest angekommen sind: „Nach dem Sonntagsgottesdienst gibt es immer ein Kirchencafé, hier kann man Kontakte knüpfen. Es wird erzählt, geschwatzt, Anteil genommen und auch Tipps werden ausgetauscht. Da sind wir mindestens immer noch mal eine Stunde beschäftigt“, schildert Lötzsch erfreut.
Auch an die zahlreichen deutschsprachigen Studierenden würde die Pfarrerin in Zukunft gerne verstärkt herantreten. Hierbei erhält sie Unterstützung aus der Ökumene: „Gemeinsam mit den Kollegen aus der deutschsprachigen reformierten und katholischen Gemeinde sind wir gerade dabei, uns gemeinsam an den Universitäten vorzustellen.“ Man wolle den Studierenden damit einen weiteren sprachlichen und – wer das will – auch religiösen Andockplatz in Budapest bieten. Auf Initiative der deutschsprachigen reformierten Jugendgruppe in Budapest solle es in Zukunft zudem ein monatliches Taizé-Gebet in deutscher Sprache geben, wo auch Lötzsch dabei sein wird.
Von Leipzig nach Budapest
Neben ihren Vorstellungen über ihre zukünftige Arbeit in der Gemeinde, spricht Barbara Lötzsch auch offen über ihren bisherigen Werdegang: 1969 in Leipzig geboren, wuchs sie in Nerchau an der Mulde auf. Später studierte sie in Leipzig. Gerade frisch immatrikuliert erlebte sie im Herbst 1989 die berühmten Leipziger Montagsdemonstrationen sowie die Friedensgebete in der Nikolaikirche hautnah mit. „Ich erinnere mich noch eindrücklich daran, dass die Polizei einen Ring rund um die Kirche gezogen hatte. Wer hinein wollte, musste da durch. Es brauchte Mut dafür, das war schließlich eine massive Einschüchterung. Auch ich habe eine Weile gebraucht. Damals hat mich dort diese unglaubliche Aufbruchsstimmung fasziniert.“
Anfang der Neunziger setzte Lötzsch ihr Studium in Marburg fort. Nach einem Praktikum in der Kirchenredaktion des MDR – „Dort habe ich mir Kirche mal durch die mediale Brille angeguckt.“ – absolvierte Lötzsch ihr Vikariat im Großraum Leipzig. 2002 führte sie ihre erste Probepfarrstelle zurück ins Muldental, nach Böhlitz und Röcknitz. „Ich habe dann noch einmal näher an Leipzig heran gewechselt. Meine Hauptpfarrstelle war in Machern, de facto einem Vorort von Leipzig.“ Hier hielt Barbara Lötzsch elf Jahre lang die Gottesdienste ab.
Wie es sie von dort letztlich nach Budapest verschlagen hat? „Ein Grund war mein Engagement in der kirchlichen Selbstverwaltung, durch die synodale Arbeit hatte ich immer auch Kontakt zu Partnerkirchen im Ausland und da ist der Wunsch in mir herangereift, vielleicht selbst einmal zu schauen, wie das vor Ort im Ausland aussieht“, erzählt die Geistliche.
In ihrem Wunsch bestärkt hatte sie zudem das Vorbild ihrer Kinder: „Die haben nämlich alle ein Schuljahr im Ausland gemacht und da dachte ich mir: das würde ich auch gerne mal ausprobieren.“
Einen dritten Grund habe ihr ihre eigene Gemeinde vor Augen geführt. „In der Zeit um 2015/2016, also während der Flüchtlingskrise, hat sie wichtige Integrationsarbeit geleistet. Die Gemeinde wurde zum Sammelpunkt, an dem Unterstützung für die Flüchtlinge organisiert wurde. Dabei habe ich viel darüber erfahren, wie das ist, wenn man in ein fremdes Land kommt.“
Inspiriert von dieser Erfahrung begab sich Lötzsch auf die Suche nach freien Stellen im Ausland, „diese werden regelmäßig von der EKD veröffentlicht“. Nach einiger Abstimmung innerhalb der Familie fiel die Wahl schließlich auf Budapest. In die ungarische Hauptstadt begleiteten sie ihr Mann Frank Thieme sowie ihre jüngste Tochter Annegret. Knapp einen Monat nach dem Umzug sind alle drei natürlich noch auf Hochtouren damit beschäftig, sich auf ihr neues Leben einzustellen, erneut Beziehungen zu knüpfen und Routinen zu schaffen, doch Barbara Lötzsch blickt bereits mit großer Zuversicht auf die nächsten sechs Jahre in Budapest.
Spendeninformationen
Finanzielle Engpässe sind in Auslandsgemeinden vor allem im mittel- und osteuropäischen Raum ein verbreitetes Problem. Auch der Deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde in Budapest fehle es an vielen Stellen an Mitteln, erklärt Pfarrerin Barbara Lötzsch. Darunter leide vor allem die diakonische Arbeit, also das soziale Engagement der Gemeinde. „Wir unterstützen unter anderem ein Kinderheim in Miskolc, das dringend auf Spenden angewiesen ist“. Doch auch um den Betrieb der Gemeinde aufrechtzuerhalten, würden dringend Geldmittel benötigt – „wir würden gerne in eine bessere technische Ausstattung investieren, doch das ist mit unserem Budget derzeit nicht möglich“, so Lötzsch.
Wer die Gemeinde und ihre kirchliche Arbeit unterstützen möchte, hat die Möglichkeit, dies auf verschiedenen Wegen tun:
Wer in Ungarn Steuern zahlt, kann ein Prozent der Jahressteuern der Gemeinde zukommen lassen, in dem er es im Rahmen seiner Steuererklärung deren Stiftung, der „Német Evangélikus Gyülekezet Alapítvány, Steuernummer 18047840-1-41.“ zuspricht.
Es gibt natürlich aber auch die Möglichkeit, direkt zu spenden. Die Bankverbindungen der Gemeinde lauten:
UniCredit Bank Hungary Zrt
BIC: BACXHUHB
IBAN für HUF Konto: 49 10918001-00000410-78390002
IBAN für EUR Konto: 2310918001-00000410-78390002
Für Überweisungen aus Deutschland: Konto der Ev. Kirche in Deutschland bei der EKK Hannover; IBAN: DE05 5206 0410 0000 6600 00; BIC: GENODEF1EK1; Stichwort „Gemeinde Budapest“