Die letzte Überlebende des „Kongresses für Kulturelle Freiheit“ zu Besuch in Budapest
„Der Kampf für die geistige Freiheit muss weitergehen!“
Die Teilnehmer der im Institut Français stattfindenden Veranstaltung waren neben Roselyne Chenu auch der ehemalige Botschafter Ungarns in Frankreich János Szávai, der Direktor des Danube Institutes in Budapest John O’Sullivan und Mária Illyés-Kodolányi, Tochter des berühmten Schriftstellers Gyula Illyés, der durch den „Congress for Cultural Freedom“ unterstützt wurde. Moderiert wurde die Runde von Magda A. Szabó, der ehemaligen stellvertretenden Direktorin des Ungarischen Instituts in Paris. Durch die Anwesenheit der französischen Botschafterin in Ungarn Mme Pascale Andréani erfuhr der Besuch von Roselyne Chenu eine besondere Würdigung.
Bei den Gesprächen ging es insbesondere um die große Bedeutung des „Kongresses für Kulturelle Freiheit“ für die Intellektuellen Osteuropas, die während des Kalten Krieges hinter dem Eisernen Vorhang eingesperrt waren. Die Teilnehmer waren sich darin einig, wie unverzichtbar ein „freier intellektueller Austausch“ für die Demokratie und das gesellschaftliche Zusammenleben sei.
Reaktion auf die sowjetische Propagandaoffensive
Eingangs sprach John O’Sullivan über die Entstehungsgeschichte des Kongresses, indem er die Anwesenden an den Anfang des Kalten Krieges versetzte, als „alles durch die sowjetische ‚Kampagne für den Frieden‘ ausgelöst wurde“.
Um ihre vermeintlich friedfertigen Absichten zu demonstrieren, organisierten die Kommunisten Anfang der 1950er Jahre eine „Friedenskonferenz“ nach der anderen, erzählte O‘Sullivan. In Warschau, New York und Paris stellten sie sich als die einzigen „Bewahrer des Friedens“ dar, die für alle nur das Beste wollten. Dabei wurden sie von vielen Künstlern und Intellektuellen aus der westlichen Welt unterstützt.
Als Reaktion darauf wurde in Berlin von westlicher Seite im Juni 1950 ein Kongress organisiert, der sowohl auf politischer als auch auf ideologischer Ebene eine Alternative zu der von Moskau aus geleiteten Propaganda darstellen sollte. Dabei wollte man besonders dem sowjetischen Einfluss auf die Intellektuellen etwas entgegensetzen, betonte O’Sullivan.
Manifest für kulturelle Freiheit
Roselyne Chenu führte den historischen Faden fort und ging auf die Teilnehmer an diesem ersten Kongress ein: „Es handelte sich damals um über einhundert Intellektuelle, von denen die meisten Mitglieder der nichtkommunistischen Linken waren.“ Darunter befanden sich Schriftsteller, Philosophen, Künstler, Ökonomen, Historiker, Journalisten und Gewerkschaftler. Mit dabei waren Intellektuelle wie Karl Jaspers, John Dewey, Raymond Aron, Arthur Koestler und Tennessee Williams.
Gemeinsam wollten sie dafür werben, dass die liberale Demokratie mindestens ebenso gut mit Kultur und Frieden vereinbar sei wie der Kommunismus. „Letztlich ging es vor allem um die Verteidigung und Förderung der Freiheit, insbesondere der Meinungsfreiheit“, sagte Chenu. Der Kongress habe sich gegen die kommunistische Bedrohung gewendet. Prinzipiell hat er ein Zeichen gegen jedwede Form von Totalitarismus gesetzt – „ganz gleich ob von links oder von rechts“, wie Chenu kämpferisch betonte.
Dieses Ziel wurde in dem vor allem von dem Philosophen Manès Sperber verfassten „Manifeste aux hommes libres“ („Manifest des Kongresses für kulturelle Freiheit“) niedergelegt und von dem Schriftsteller Arthur Koestler bei der Abschlussveranstaltung des Kongresses verlesen. Das Berliner Manifest wurde in der Folge zur Satzung des Kongresses.
Das Who is Who der freien Welt
Nach dieser ersten Zusammenkunft wollten viele der antitotalitär gesinnten Intellektuellen den Kongress in eine Vereinigung verwandeln, die „ein Forum für fortgesetztes und konzertiertes Handeln bieten würde“, so Chenu.
In Paris, berichtete die Französin weiter, wurde ein internationales Sekretariat eingerichtet. Der amerikanische Publizist Michael Josselson wurde zum Verwaltungssekretär ernannt und blieb bis 1967 die zentrale Figur des Kongresses. Generalsekretär wurde der amerikanische Komponist Nicolas Nabokov.
„In den späten 1950er Jahren hatte der ‚Kongress für Kulturelle Freiheit‘ Dutzende von Mitarbeitern und wurde von unzähligen Intellektuellen unterstützt“, berichtete Chenu weiter. Nach und nach wurde er zu einem festen Bestandteil der europäischen Intellektuellenlandschaft.
Von 1950 bis 1969 finanzierte der Kongress linksliberale Autoren wie Heinrich Böll und Siegfried Lenz, oder auch einflussreiche Zeitschriften wie „Der Monat“ in Deutschland, „Tempo presente“ in Italien, „Preuves“ in Frankreich oder auch „Encounter“ im Vereinigten Königreich.
In diesem Rahmen erwähnte John O’Sullivan, wie er noch als Student praktisch keine einzige Ausgabe von „Encounter“ verpasste. „Hier bekam ich einen umfassenden Überblick über die Errungenschaften der westlichen Zivilisation“, erinnerte er sich. „Encounter war selbst keine Propaganda. Hier sprach das Who is Who der westlich-liberalen Welt über eine freie Gesellschaft und einen freien Geist.“
Eine Brücke zwischen Ost und West
Das Ziel, so Chenu, habe darin bestanden, die betrügerische Natur des Kommunismus zu entlarven. „Für viele Künstler, Schriftsteller und Dichter aus ganz Osteuropa war es wie ein Lichtblick: die Verbindung zur Welt jenseits des Eisernen Vorhangs“, erklärte die Französin. Sie erinnerte sich, wie man den Osteuropäern, insofern sie diese beantragten, unzählige Bücher und Magazine zukommen ließ und vielen auch über Stipendien die Möglichkeit bot, für einige Monate lang in den Westen, insbesondere nach Paris, zu reisen.
Es sei wichtig, so die französische Autorin, dass die Ungarn heute über den „Kongress für Kulturelle Freiheit“ Bescheid wissen. Denn gerade die Unterdrückung der ungarischen Revolution im Jahr 1956 führte unter den Mitarbeitern zu einer fieberhaften Aktivität – und zwar mit einer solchen Intensität, wie sie sich im Laufe der gesamten Geschichte des Kongresses nicht wiederholen sollte.
„Der Kongress“, schrieb Orsolya Németh in der Septemberausgabe der Hungarian Review in diesem Zusammenhang, „richtete Appelle an die Weltöffentlichkeit. Intellektuelle, ganz gleich, ob sie aus Ungarn fliehen wollten oder in ihrer Heimat blieben, wurden unterstützt. Die ‚Philharmonia Hungarica‘ wurde mit geflüchteten Musikern gegründet. Es gab die verschiedensten Solidaritätsaktionen und Sympathiekundgebungen.“
Roselyne Chenu: „Dann schreibe ich das Buch über den Kongress eben selbst“
Die Französin erinnerte sich, wie sie im Jahre 1964 dem internationalen Sekretariat des Kongresses beitrat. Damals arbeitete sie eng mit dem damaligen Präsidenten des Kongresses Pierre Emmanuel zusammen und setzte sich bis Anfang 1975 für die verschiedenen europäischen Programme ein, die ihr nach und nach anvertraut wurden. Zu ihrer Arbeit gehörten die Vergabe von Reisestipendien, die Organisation internationaler Konferenzen und Symposien sowie die Verwaltung von Fonds für Schriftsteller und Künstler, die man ins Exil gezwungen hatte.
Auf die Frage, warum sie das Buch erst jetzt geschrieben habe, antwortete Chenu, dass leider keiner unter den damaligen Mitarbeitern es getan habe. Was dann später drüber erzählt und geschrieben wurde, sei so schockierend fehlerhaft gewesen, dass sie sich dazu entschlossen habe, das Buch über den Kongress einfach selbst zu schreiben.
Der Kongress und die CIA
„Sicherlich gab es so etwas wie eine dunkle Seite“, berichtete Roselyne Chenu, als sie auf die Finanzierung des „Kongresses für Kulturelle Freiheit“ zu sprechen kam. Die Zusammenarbeit mit der CIA sei bereits auf den Verwaltungssekretär Michael Josselson zurückgegangen. „Josselson war es auch, der ursprünglich die Idee für einen permanenten Kongresses hatte“, so Chenu.
Während des Krieges stand Josselson in den Diensten des amerikanischen Verteidigungsministeriums, berichtete Chenu. Als er dort ausschied und zum Verwaltungssekretär des Kongresses ernannt wurde, sei er auch mit Finanzierungsfragen betraut gewesen. In dieser Funktion habe er Kontakte zu „alten Kameraden aus Kriegszeiten“ aufgenommen und den Zufluss von CIA-Mitteln arrangiert. Die Politik der CIA bestand darin, die Entstehung einer linksliberalen Kultur zu gewährleisten. „Die Mitarbeiter des Kongresses haben davon jedoch nichts gewusst“, betonte die Autorin. Man habe also auch keinen direkten Einfluss auf sie ausüben können.
Natürlich sei es hochgradig problematisch gewesen, ausgerechnet von einem amerikanischen Geheimdienst finanziert zu werden. Roselyne Chenu gab jedoch zu bedenken, dass der CIA im Laufe seiner Geschichte auch rechts- wie linksextreme Aktivitäten finanziert habe. In diesem Fall unterstützte die CIA nun aber eine Organisation, die tatsächlich freiheitliche Ziele verfolgte. „Hätte man da ‚nein‘ sagen sollen?“, fragte Chenu.
Ganz in diesem Sinne schreibt auch der deutsch-französische Publizist Alfred Grosser in seinem Vorwort zum Buch von Roselyne Chenu: „Ich gebe zu, dass ich selbst damals immer die CIA verteidigt habe, weil sie sich angesichts der mächtigen kommunistischen Propaganda bewusst für die gemäßigte Linke und nicht für die virulente Rechte entschieden hat. Es bedurfte echter politischer Weisheit, um diejenigen zu unterstützen, die sich der Freiheit verschrieben haben, anstatt Menschen und Organisationen, die die gleiche Intoleranz zeigen wie die auf der anderen Seite.“
Umbenennung und Auflösung
Nach Bekanntwerden der CIA-Finanzierung wurde der Kongress im Jahr 1967 in „International Association for Cultural Freedom“ (IACF) umbenannt und bestand mit Mitteln der Ford Foundation weiter. Die neue Organisation übernahm die übrig gebliebenen Zeitschriften und nationalen Komitees, die Praxis internationaler Seminare, die regionalen Programme und das Ideal einer weltweiten Gemeinschaft von Intellektuellen. Bis 1970 gab es auch eine gewisse personelle Kontinuität.
1977 schloss schließlich das Pariser Büro und zwei Jahre später beschloss die Vereinigung, sich komplett aufzulösen. Roselyne Chenu selbst, so Orsolya Németh in der Hungarian Revue, habe sich bis 1975 ohne Unterlass für die europäischen Programme engagiert.
Engagement für kulturelle Freiheit
Auf die Frage der Budapester Zeitung, welche Rolle heutzutage der freie Austausch von Gedanken spiele, antwortete Roselyne Chenu: „In gewisser Weise ist es heute schwerer als damals, weil heute nur noch das Geld, die Rentabilität und die Geschäfte zählen. „Der freie Geist verschwindet immer mehr.“ Wir leben in einer Welt, so Chenu, „die immer barbarischer wird“. Dabei würden ihr viele ihrer Mitmenschen „mit ihren Handys ganz gehörig auf die Nerven gehen“. Man müsse auch nicht permanent mit den anderen verbunden sein. Das sei doch keine Freiheit, meinte Chenu mit den Schultern zuckend.
„Natürlich habe ich das Buch geschrieben, um einen historisch verlässlichen Bericht über den ‚Kongress für kulturelle Freiheit‘ zu schreiben“, erklärte Chenu. Darüber hinaus sei es ihr jedoch auch um den menschlichen Geist gegangen, um eine Kultur, in der die geistige Freiheit eine wichtige Rolle spielt, während man doch heute unter „Kultur“ so ziemlich „alles und nichts“ verstünde.
Jeder, der von der tatsächlichen Freiheit des Geistes überzeugt sei, sollte sich für diese Freiheit einsetzen. „Es ist überaus wichtig, dass Ihre Generation weiter dafür kämpft und das Wissen um die Freiheit des Geistes am Leben hält“, mahnte die letzte Überlebende des „Kongresses für Kulturelle Freiheit“.