Budapest
Die meisten Gäste waren an diesem Abend online mit dabei. Foto: DWC

OB Gergely Karácsony zu Gast beim DWC Ungarn

„Budapest noch lebenswerter machen“

Gut ein Jahr ist es her, dass der Kandidat einer gemeinsamen oppositionellen Liste, Gergely Karácsony, die Wahl zum Budapester Oberbürgermeister für sich entscheiden konnte. Auf Einladung des DWC Ungarn sprach der Politiker über seine Vision für Budapest – vom Straßen- bis zum Fremdenverkehr, vom ÖPNV bis zur Wohnpolitik.

In Zeiten von Corona müssen Veranstalter Kreativität beweisen, egal ob sie sich unter Einhaltung strikter Gesundheitsvorschriften im physischen Raum oder mit Rücksicht auf überall lauernde technische Pannen ins Netz begeben. Der Deutsche Wirtschaftsclub ging für seine zweite offizielle Präsenzveranstaltung seit Beginn der Krise sogar noch einen Schritt weiter und schlug mit dem Experiment „Hybridveranstaltung“ eine Brücke zwischen beiden Welten. Denn dem Vortrag von Oberbürgermeister Gergely Karácsony konnte nicht nur ein auf 80 Gäste begrenztes Publikum in einem Saal des Marriott Hotels folgen, sondern dank der Live-Übertragung auf YouTube auch zahlreiche weitere Zuschauer an den heimischen Rechnern. Die Moderation von DWC-Präsident Dr. Arne Gobert gab nicht nur Raum für zahlreiche Fragen aus dem Publikum und von online anwesenden Gästen, sondern ermöglichte es Karácsony nach eigenem Ermessen auch, die Bühne für ihm persönlich wichtige Themen zu nutzen.

Lebensqualität als Maß für Good Governance

Dass Budapest eine der besten Städte der Welt ist und über ein fantastisches kulturelles Erbe verfügt, darin war sich der ursprünglich aus dem ostungarischen Fehérgyarmat stammende Politiker wohl an diesem Abend mit allen Anwesenden einig. Die Visionen für die Fortsetzung dieses Erbes im 21. Jahrhundert dürften dagegen auseinandergehen.

Zu den Themen, die der neue Oberbürgermeister in seiner Amtszeit besonders akzentuieren möchte, gehört, wie er sagte, auch „die stärkere globale Einbettung Budapests“. Für ihn bedeutet dies nicht nur, die Stadt würdig in verschiedenen internationalen Foren vertreten zu sehen, sondern auch, die Zusammenarbeit mit ausländischen Unternehmern zu stärken, „indem wir die Firmen und ihre Mitarbeiter als Ressourcen betrachten, ebenso wie die Kultur, die sie mitbringen. Auch deshalb freue ich mich sehr über die heutige Einladung.“

Was Karácsonys Programm als Oberbürgermeister Budapests aber am besten umschreiben dürfte, ist sein Wunsch, die Stadt lebenswerter zu gestalten. Denn Good Governance, so sein Ansatz, müsse sich genau daran messen lassen, inwiefern sie die Lebensqualität der Menschen verbessern kann. Dass sich eine höhere Lebensqualität nicht mit nur einer Maßnahme über Nacht erreichen lässt, scheint dem OB dabei bewusst: „Ich denke, wir müssen unsere Stadt mit vielen kleinen Schritten umgestalten.“

Budapest
Budapests Oberbürgermeister Gergely Karácsony und DWC-Präsident Dr. Arne Gobert. Foto: DWC

Das ist für ihn auch mit einer grüneren und nachhaltigeren Gestaltung der Stadt gleichzusetzen. Diese beiden Themen sieht er sogar als besonders dringlich: Denn laut Karácsony sterben rund 3.000 Budapester jährlich an den Folgen der Luftverschmutzung. Die ungarische Hauptstadt schaffe es in puncto Luft in die Top-20 der dreckigsten Städte Europas. Trotzdem, kritisierte der Oberbürgermeister, wurde „diesbezüglich in den letzten Jahren nur wenig unternommen.“

ÖPNV noch attraktiver machen

Im Gegenteil: Der motorisierte Individualverkehr habe stetig zugenommen, die Straßen seien verstopft, laut einer Studie verbringen Budapester 16 Stunden pro Jahr im Stau. Dass Pkw-Fahrer unter dem oppositionellen Oberbürgermeister nicht mehr die Vorrangstellung genießen, wie einst unter OB István Tarlós, dürfte vielen bereits gedämmert haben, etwa im Zuge so umstrittener Maßnahmen wie der Übergabe einer Fahrspur an Radfahrer auf dem Pester Großen Ring sowie die bis vor kurzem praktizierte Schließung der Uferstraßen für Autos an den Wochenenden.

Dass das nicht jedem passt, ist dem OB bewusst: „Viele teilen und unterstützen meine Betrachtungsweisen, bis es darum geht, Opfer zu bringen. Aber hier zerren wir schon sehr am Bart des Löwen.“ Sogar eine Staugebühr für die Budapester Innenstadt nach Londoner Vorbild sei unter der neuen Hauptstadtregierung im Gespräch.

Doch Karácsony möchte nicht nur die Pkw-Nutzung in der Innenstadt weniger attraktiv machen. Eines seiner erklärten Ziele ist auch, parallel dazu den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu verbessern. Die Abdeckung und den Ausbau des Streckennetzes in Budapest hält der OB „selbst im europäischen Vergleich für sehr gut“. Trotzdem soll sich hier in den nächsten Jahren noch einiges tun, unter minimalem Kostenaufwand und mithilfe nur weniger Meter zusätzlicher Schienenstrecke sollen bestimmte Linien besser verbunden und damit ein reibungsloserer Beförderungsfluss auch aus den Randgebieten der Stadt garantiert werden.

Wichtiger als der Netzausbau sei Karácsony nach eigenen Worten aber die Erneuerung des Fuhrparks: „Hier hinken wir hinterher. 40 Prozent unserer Busse sind Euro 3, das bedeutet, dass wir bisher ungewollt selbst der größte Verschmutzer der Stadt sind. Unser Ziel ist jetzt die Anschaffung moderner E-Busse oder anderer Zero-Emissions-Modelle.“

Nachhaltiges Wohnen fördern

Den Weg in eine nachhaltigere Zukunft sieht Karácsony aber nicht nur im Bereich des Verkehrs: „Eine große Komponente, wenn es um die Luftverschmutzung geht, machen in Budapest auch veraltete Heizsysteme aus. Deshalb ist es uns wichtig, die Energieeffizienz der Gebäude durch gezielte Renovierungen zu erhöhen. Das würde nicht nur die Luft verbessern, sondern auch viele Jobs schaffen.“ In diesem Zusammenhang spricht der grüne Politiker auch von einer weiteren Förderung für Solarzellen auf den Dächern von Wohngebäuden, um Wohnkosten zu reduzieren.

Generell erkennt Karácsony im Wohnungsmarkt „eine der dringlichsten Fragen Budapests“, dazu gehöre auch die Frage, wie den bis vor Kurzem rasant steigenden Immobilienpreisen entgegengetreten werden kann. Der OB kritisiert: „Nach der Wende wurde keine gezielte Wohnpolitik betrieben, stattdessen haben die Kommunalverwaltungen fast den gesamten Wohnbestand verkauft. Nur vier Prozent der Wohnungen sind noch in kommunaler Hand. Das hat zur Folge, dass Budapest heute in punkto Verfügbarkeit von Mietwohnungen weit hinterherhinkt.“

Insbesondere um die Mobilität von Arbeitskräften zu erhöhen, müssten hier weitere Kapazitäten geschaffen werden, etwa durch Wohnungsbau. Hier hofft Karácsony, langfristig sogar eine verlässliche Einnahmequelle für die Stadt schaffen zu können. In diesem Zusammenhang nannte er als Vorbild die Stadt Wien.

Neue Strategien im Tourismus

Auf die weitere Entwicklung des Fremdenverkehrs angesprochen, erklärte der OB: „In Budapest gibt es zwei mögliche Probleme mit den Touristen – wenn sie da sind und wenn sie wegbleiben.“ Mit diesem Witz spielte er auf Interessenkonflikte zwischen Anwohnern und Touristen, bzw. den von ihnen lebenden Unternehmern an, wie sie beispielsweise immer wieder im stark frequentierten jüdischen Viertel auftreten. Karácsony betonte, dass er sich in diesem Bereich einen Strategiewechsel wünscht. „Wir müssen zum einen noch mehr die Vielfältigkeit der Stadt aufzeigen und dadurch die Touristen-Hotspots besser verteilen, zum anderen sollten wir den Business- und Konferenztourismus stärken.“

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OB Gergely Karácsony: „Die Krise ist eine Möglichkeit, jetzt eine Strategie zu entwickeln, wie wir den Motor unserer Wirtschaft hinterher wieder so auf Touren bringen, dass er nachhaltiger läuft als davor.”    Foto: DWC

Dieser fehle bisher in Budapest, obwohl dazu nach Karácsonys Meinung alle Gegebenheiten vorhanden wären. Zudem plane die Stadt, zukünftig stärker von den Einnahmen des Tourismus zu profitieren: „In der Vergangenheit war es so, dass alle rentablen Dienstleistungen von privaten Unternehmern betrieben wurden und alles, wo man draufzahlt, für die Stadt blieb. Das soll sich ändern.“ Die Hauptstadtregierung spiele etwa mit der Idee eigener Touristen- und Sightseeingbusse.

Ein oppositionelles Budapest in Orbáns Ungarn

Obwohl Premierminister Viktor Orbán im Anschluss an die Wahlen im vergangenen Herbst beteuerte, dass seine Regierung auf Zusammenarbeit aus sei, rechnete man auf Oppositionsseite von Anfang an mit Hindernissen.

Zu den Spielbällen, die sich Landes- und Hauptstadtregierung immer wieder zuschieben, gehört etwa das Streitobjekt „Kettenbrücke“. Bezugnehmend auf eine Frage aus dem Online-Publikum beteuerte der oppositionelle Politiker erneut, dass die Ursache für die Verzögerungen des Renovierungsstarts nicht aufseiten seiner Hauptstadtregierung zu suchen sei: „Das Vergabeverfahren läuft und wir könnten noch dieses Jahr den Zuschlag geben, dann würden die Arbeiten im kommenden März beginnen. Wir hoffen auf eine Fertigstellung bis Mitte 2023.“ Parallel zur Kettenbrücke sollten auch die Uferstraßen auf Budaer Seite erneuert werden, was das Vorhaben noch weiter verkompliziere.

OB Karácsony schlägt am Veranstaltungsabend aber auch versöhnliche Töne an: Wiederholt betont er, gute Projekte der vorherigen Stadtregierung fortsetzen zu wollen und lobt an einigen Stellen sogar die Arbeit der Landesregierung etwa im Zusammenhang mit der Verbesserung des Bahnverkehrs im Bereich der Agglomeration oder der Schaffung von Anreizprogrammen für die Wohnungssanierung. Eine positive Zusammenarbeit gebe es auch im Bereich des Tourismus.

Herausforderungen in Pandemiezeiten

„Als ich vor einem Jahr meine Arbeit begann, wusste ich nicht, dass meine Amtszeit gleich von zwei so großen Belastungen überschattet wird. Dass die Zusammenarbeit mit der Regierung nicht leicht werden würde, war uns klar, aber ich hätte nicht gedacht, dass ich noch dazu eine solche Krise um die Ohren haben werde“, erklärte Karácsony. Die Pandemie habe viele Probleme der Stadt noch deutlicher ans Tageslicht gebracht. Besondere Sorgen bereite dem OB die finanzielle Lage Budapests, anders als aus Regierungskreisen behauptet, sehe sie wenig rosig aus.

„Die Pandemie hat eine globale Wirtschaftskrise zur Folge, und innerhalb der EU hat besonders Ungarn einen harten wirtschaftlichen Rückfall erlitten“, erklärte der OB. Für Budapest selbst prognostizierte Karácsony einen Rückgang an Gewerbesteuereinnahmen von 25 Prozent für dieses und das kommende Jahr. Insgesamt sei der Hauptstadthaushalt mit 45 Milliarden Forint im Minus.

Dafür seien auch Einnahmeausfälle im Bereich des ÖPNV verantwortlich: „Die Einnahmen sind aufgrund der Pandemie dramatisch zurückgegangen, gleichzeitig können die Kapazitäten aber nicht genauso zurückgefahren werden, sonst käme es zu Tumulten in den Metros und Bussen.“

250 Milliarden Forint koste der ÖPNV die Stadt jährlich, 70 davon waren bisher durch Ticketverkäufe abgedeckt. Gleichzeitig würden die Zahlen für „die Kosten von Verkauf und Ticketkontrolle „in der selben Gewichtsklasse“ spielen. „Da stellt sich die Frage: Warum fahren die Busse dann nicht gleich umsonst?“ Laut Karácsony werde ein solches Szenario aktuell durchdacht und kalkuliert. „Da gibt es sicherlich noch sehr viele wichtige Detailfragen zu lösen. Das braucht noch seine Zeit.“

Überhaupt sieht Karácsony in der Pandemie auch eine Chance, alte Konzepte zu überdenken beziehungsweise in neue Bahnen zu lenken: „Ich bin ein ewiger Optimist. Die Krise ist eine Möglichkeit, jetzt eine Strategie zu entwickeln, wie wir den Motor unserer Wirtschaft hinterher wieder so auf Touren bringen, dass er nachhaltiger läuft als davor.“ In Karácsonys Vorstellung könnten hier gezielte Investitionen finanziert aus EU-Mitteln eine Schlüsselrolle spielen. Diese sollten mit dazu beitragen, die Wirtschaftsakteure zum Technologiewandel zu bewegen.

Und so blickt der Párbeszed-Politiker der Zukunft am Ende des Abends doch recht gelassen entgegen. Ihm geht es nun vor allem um die Umsetzung seines Wahlprogramms. „Das ist mal eine neuartige Initiative für die ungarische Politik.“ Dabei möchte Karácsony nun verstärkt solche Projekte umsetzen, deren „Budgetbedarf klein ist, die aber eine hohe gesellschaftliche Rendite aufweisen.“ Letztlich blieb der Eindruck, dass sich Karácsony dem DWC-Publikum jenseits aller Ideologiefragen von seiner pragmatischen Seite zeigte.

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