Nachlese zum EU-Gipfel
Westbalkan ist Baustein für Sicherheit
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Zunächst erhielten die Ukraine und Moldau den Kandidatenstatus. Dafür trat auch Ungarn ein, dessen Außenminister Péter Szijjártó jedoch anmerkte: Dass die gleiche Geste gegenüber Georgien ausblieb, sei unerklärlich und schädlich für Europa. Auch die fehlende Perspektive für den Westbalkan prangerte Szijjártó an. Bosnien-Herzegowina hätte als viertes Land den Kandidatenstatus verdient, auch um der innenpolitischen Zerrissenheit entgegenzuwirken. „Es wäre gut, wenn man in Brüssel und allen Hauptstädten Westeuropas verstünde: In diesen Zeiten von europäischer Sicherheit zu reden fällt schwer, wenn wir den Westbalkan nicht in die EU integrieren.“ Die Ungarn als Nachbarn des Westbalkans wüssten sehr genau, welche Bedeutung die Stabilität dieser Region besitzt.
Bereits aus Tbilissi meldete sich Szijjártó am Freitagnachmittag von einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem georgischen Amtskollegen Ilja Darchiaschwili: „Würde die EU nur den Schimmer einer strategischen Sichtweise besitzen, hätte Georgien den Kandidatenstatus erhalten müssen.“ Die EU habe mit dieser Entscheidung gegen ihre eigenen Zielstellungen zur Stärkung der Gemeinschaft gearbeitet, und damit eine weitere sich bietende Gelegenheit verschenkt. Ganz zu schweigen vom fehlenden Respekt vor der georgischen Nation, meinte Ungarns Chefdiplomat. Szijjártó kritisierte die schwammigen Bedingungen, die Brüssel stelle, die nicht nur zu allgemein gehalten seien, sondern in vielen Punkten regelrecht unsinnig.
Niederlagen für ungarische Diplomatie
Ministerpräsident Viktor Orbán meldete sich zuletzt unmittelbar vor dem EU-Gipfel zu Wort; seither herrscht einigermaßen ungewöhnlich Funkstille von seiner Seite. Möglicherweise hängt dies mit den für Ungarn wenig schmeichelhaften Ergebnissen zusammen. Der verweigerte Kandidatenstatus für Bosnien-Herzegowina ist eine klare Niederlage für die ungarische Diplomatie, zumal man in diesem Ringen starke Partner wie Deutschland und Österreich an seiner Seite wusste. Die Länder des Westbalkans von Serbien bis Albanien zeigten sich ungemein frustriert von der Haltung der EU-Staats- und Regierungschefs, der Ukraine und Moldau mit Blick auf die russische Aggression den Vorzug zu geben. Bosnien-Herzegowina merkte nicht zu Unrecht an, man habe auch unter einem Krieg gelitten und doch keinen Sonderstatus eingeräumt bekommen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron durfte zwar noch vor dem Wochenende „Entwarnung“ für Albanien und Nordmazedonien geben, nachdem es sich das bulgarische Parlament plötzlich anders überlegte mit seinem Veto. Die Macron-Idee von einer neuartigen Kooperationsform mit dem Westbalkan dürften die betroffenen Länder jedoch leicht als Bluff durchschauen, substanzielle Beitrittsverhandlungen weiter zu dehnen.
Damit nicht genug, attackierte Macron das ungarische Veto in Sachen globaler Mindeststeuer scharf. „Wir werden alles tun, damit Ungarn sein Veto zurückzieht“, drohte der Franzose im Anschluss an den Gipfel, der die Vereinbarung auf EU-Ebene unbedingt bis zum Ende seiner Ratspräsidentschaft erreichen will. Zu seinen Instrumentarien könnte eine „verstärkte Zusammenarbeit“ nach dem Vorbild der EU-Staatsanwaltschaft gehören, mit der die EU-26 das ungarische Veto übergehen würden. In dieser Angelegenheit telefonierte Szijjártó vergangene Woche gleich zweimal mit US-Außenminister Anthony Blinken.
Balázs Orbán: Austüfteln, was sich machen lässt
Vor dem Gipfel in Brüssel hatte Viktor Orbán klargestellt, Ungarn stimme keinen weiteren Sanktionen gegen Russland zu, weil Europa schon jetzt mehr leide, als der Aggressor. Diese Position untermauerte Balázs Orbán, politischer Berater des Ministerpräsidenten, in mehreren Interviews vor dem Wochenende. Die EU sollte sich auf das Erreichen eines Waffenstillstands und Friedensverhandlungen konzentrieren. „Am Ende wird Europa wegen der wirtschaftlichen Probleme auf der Verliererseite landen“, sagte Orbán der Nachrichtenagentur Reuters. Natürlich würden die Sanktionen Russland wehtun, doch Moskau werde diese überleben und den Krieg unbeeindruckt fortsetzen.

Im Gespräch mit der „Financial Times“ hob der Berater hervor: „Ein schneller Waffenstillstand ist die einzige Chance für Europa, eine lähmende Rezession zu vermeiden.“ Manche EU-Länder hätten im Kampf gegen Putin zu viel Euphorie an den Tag gelegt. „Sie wollen unbedingt Krieg führen, weil sie glauben, Putin schlagen zu können.“ Diese Strategie führe Europa jedoch in eine schwere Krise, unter der die Mittelschichten extrem leiden werden. „Wer zu politisieren versucht, ohne den Realitäten ins Auge zu schauen, verliert am Ende das Vertrauen der Menschen“, warnte Orbán.
Wie die Beziehungen der EU zu Putin bzw. zu Russland in der Zukunft aussehen sollen, sei heute schwer zu sagen, räumte der politische Berater ein: „Was in den letzten zwölf Jahren ging, lässt sich heute nicht mehr halten, weil andere Umstände eingetreten sind. Wir warten auf das Ende des Krieges, und dann setzen wir uns hin, um auszutüfteln, was sich machen lässt.“