Ministerpräsident Viktor Orbán in einem Brief an Martin Schulz (SPD): „Die ungarischen Medien seien freier und vielfältiger, als die deutschen.“   Foto: MTI / Pressebüro des Ministerpräsidenten / Zoltán Fischer

EU-Kritik

Orbán zu Schulz: „Mehr Selbstbeherrschung bitte!“ 

Nach zehn Tagen hat Ministerpräsident Viktor Orbán in einem Brief auf ein Interview reagiert, das der frühere Europapolitiker Martin Schulz (SPD) dem Deutschlandfunk gegeben hatte. Orbán weist die gewohnten Kritiken aus Westeuropa auf die gewohnte Weise zurück, äußert aber auch einige bemerkenswerte Sätze. 

So sei Deutschland heute nur deshalb wirtschaftlich besser gestellt als Ungarn, weil die Westdeutschen 45 Jahre Kapital anhäufen konnten, während die Ungarn „systematisch von den Sowjet-Kommunisten ausgeraubt“ wurden.

„Mitteleuropa holt auf“

Aber genau dieser „vererbte“ westliche Wettbewerbsvorteil sinke, Mitteleuropa hole auf und werde am Ende des Jahrzehnts gleichziehen. (Was – wie er einräumte – teilweise der EU-Konvergenzpolitik zu verdanken sei.) „Bis dahin bitten wir Herrn Schulz und seine Genossen um mehr Selbstbeherrschung“, schrieb Orbán. Nicht zum ersten Mal behauptete der Ministerpräsident, die ungarischen Medien seien freier und vielfältiger, als die deutschen.

Am meisten erboste Orbán aber, wie fälschlich der SPD-Mann das EU-Budget interpretiere. „Herr Schulz und viele andere Deutsche tun so, als würden sie den ärmeren Mitgliedstaaten Geld geben, als wären sie Nettoeinzahler. Dabei verhält es sich genau umgekehrt: Sie sind die Netto-Nutznießer des Binnenmarktes.“ Dies erklärte er damit, die Deutschen brächten in den gemeinsamen Haushalt nur einen Teil ihrer anderswo realisierten Gewinne ein, und am Ende würden sie wieder das meiste Geld einstreichen.

„Deutschland verdient an uns“

„Das ist die Realität der wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse in Europa, mit der wir leben müssen. Es ist überaus verlogen, wenn einzelne deutsche Politiker von uns dafür auch noch Dank erwarten.“ Zur Untermauerung dieser These brachte er den nicht ganz neuen Vergleich, der reiche Westen (allen voran Deutschland) schöpfe aus Ungarn jährlich 6 Mrd. Euro unter verschiedenen Titeln ab. Umgekehrt erhalte Ungarn aus dem EU-Haushalt netto 4 Mrd. Euro. „Die Lage ist eindeutig. Deutschland kostet die EU-Mitgliedschaft Ungarns kein Geld, Deutschland verdient an uns“, resümierte Orbán.

Hier können Sie das Interview mit Martin Schulz nachlesen.

5 Antworten auf “Orbán zu Schulz: „Mehr Selbstbeherrschung bitte!“ 

  1. Da wird aber vieles schön vermixt und verrührt, bis es irgendwie passt. Deutschland ist nun einmal EU-Nettozahler, denn es zahlt mehr in den EU-Haushalt ein, als dass es zurückerhält. Und Ungarn erhält mehr Geld aus dem EU-Haushalt, als dass es einbezahlt. Dass Konzerne wie Audi/VW, Mercedes/Daimler, die vielen Zulieferbetriebe und nun auch bald BMW von dein Investitionen in Fabriken in Ungarn profitieren, sollte doch auch Orban klar und recht sein. Diese Investitionen und die EU-Mittel sind nun einmal mit ein Grund für die positive Entwicklung der ungarischen Wirtschaft. Alle EU-Mitglieder profitieren vom gemeinsamen Markt und vor allem eben auch von der Rechtssicherheit, die in der EU herrscht. Beides lässt sich nicht voneinander trennen. Man kann seinen Stolz auf die eigene Nation auch zeigen ohne dass man Verbündete anfeindet und in der Geschichte nach Bösen sucht.

    0
    0
    1. Völlig d’accord. Deutschland ist Nettozahler, aber man kann die EU-Mitgliedschaft eben nicht auf ein “rechte-Tasche / linke-Tasche”-System von Beitragszahlungen reduzieren, bei dem jedes Mitgliedsland schaut, dass es am Ende am besten abschneidet. Ungarn profitiert stark von verschiedenen Transferleistungen wie dem Regional- oder dem Kohäsionsfonds, die zum Ziel haben, die wirtschaftlich schwächeren Regionen beim Aufholen zu unterstützen und damit natürlich auch den Binnenmarkt zu stärken. Dass Deutschland als außenwirtschaftlich starkes Land ein großes Interesse an einem starken Binnenmarkt hat, sollte klar sein. Aber es so darzustellen, als ob sich Deutschland auf Kosten von Ungarn bereichert ist schon eine ziemlich steile These – schließlich profitiert Ungarn stark von der EU und von den damit einhergehenden Direktinvestitionen. Und das sollte auch Ungarn etwas wert sein.

      0
      0
      1. Es gibt die klare Gewaltenteilung: Legislative, Exekutive, Judikative und Medien. Mehr muss man da gar nicht ausführen. Da wurde dann sogar auch schon die Merkel-Regierung – die ja scheinbar alles kontrolliert – öfter mal vom EuGH zurückgepfiffen.

        0
        0

Schreibe einen Kommentar

Weitere Artikel

BZ+
5. November 2024 12:39 Uhr
BZ+
5. November 2024 11:30 Uhr
5. November 2024 10:28 Uhr