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Ministerpräsident Viktor Orbán: „Wir sind die Verkörperung, die Reinkarnation Eurasiens, denn unser Volk kam einst aus Asien nach Europa.“ Foto: Screenshot / YouTube

Orbán auf dem Eurasischen Forum:

„Ungarn kann nicht auf die EU warten“

„Die nächste Epoche gehört Eurasien, Modernisierung ist nicht länger eine westliche Kategorie.“ Diese Einschätzung gab Ministerpräsident Viktor Orbán am Donnerstag in Budapest.

Seit der Weltfinanzkrise von 2008/09 sei diese Erkenntnis in ihm gereift, weil diese Krise tatsächlich nur eine logische Folge des tiefgreifenden Wandels war, der die ganze Weltwirtschaft erfasste. Bereits 2009 bereiste er – damals noch als Oppositionsführer – gemeinsam mit dem heutigen Notenbankpräsidenten György Matolcsy auf Anraten des leider seither verstorbenen Geschäftsmanns Sándor Demján das erste Mal China.

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Ministerpräsident Viktor Orbán (mit MNB-Präsident György Matolcsy kurz vor der Rede): „Die zivilisatorische Dominanz des Westens hat nach 500 Jahren ein Ende gefunden.“ Foto: Ministerpräsidentenamt/ Vivien Cher Benko

Sein Wissen rechtzeitig anwenden

„Überall auf der Welt kann man Wissen antreffen und erreichen, die Wissenschaft der Politik besteht aber darin, nicht nur über Wissen zu verfügen, sondern es auch zur rechten Zeit anzuwenden.“ Je kleiner das betreffende Land, umso wichtiger das „Timing“ – für ein Land wie Ungarn kann es „tödlich“ sein, den richtigen Zeitpunkt zu verpassen.

Orbán führte hier als tragisches Beispiel aus der ungarischen Geschichte den verpassten „Absprung“ von Seiten Hitlers im Zweiten Weltkrieg an. „Ein Land von unserer Größe darf nicht dumm und darf nicht langsam sein.“ Wenn Ungarn aber seiner tausendjährigen Geschichte würdig und ebenbürtig sein wolle, müsse es scharfsinnig und schnell agieren, smart und offen zur Welt, ständig auf der Hut, nicht den richtigen Moment für die notwendigen Entscheidungen zu verpassen.

„Die führenden Politiker des Westens können die Bedeutung Eurasiens nicht erkennen. Oder sie wollen es nicht, weil ihnen nicht gefällt, was sie da sehen.“

Westliche Denke am Ende

Europa und Asien seien durch keine natürlichen, geographischen Grenzen geteilt und bilden somit eine natürliche Wirtschaftssymbiose. Dennoch wurde es für Eurasien zum Nachteil, dass sich der Welthandel an den Seewegen orientierte, dass die westliche Zivilisation einen dominanten Status erlangte und dass der Westen nach dem Ende des Kalten Krieges meinte, die gesamte Welt nach seinem Bilde formen zu können. Als brutalstes Beispiel für das Scheitern dieser Strategie führte der Ministerpräsident den sog. Arabischen Frühling an.

„Heute verspüren wir alle, dass diese Denkweise, diese westliche Strategie ihre Gültigkeit verloren hat und am Ende angelangt ist.“ Asiens Staaten seien erstarkt und eigenständig imstande, als wirtschaftliche und politische Machtzentren zu agieren. Dementsprechend habe sich das Zentrum der Weltwirtschaft nach Osten verlagert, während der Westen mit seiner liberal-progressiven Dominanz sich selbst kaum noch regieren kann.

Orbán: „Die EU wäre der drittärmste US-Bundesstaat“

Die Renaissance Eurasiens sollte sich daraus speisen, dass sie gleich aus mehreren Zivilisationen schöpfen kann. Hier leben auf dem größten zusammenhängenden Festland der Erde 70% aller Menschen, doch während Asiens Anteil am Welthandel rasant zunimmt, fällt Europa unaufhaltsam zurück.

„Ausgehend von der Kaufkraftparität wäre die EU heute der drittärmste Bundesstaat der USA“, zeichnete Orbán einen düsteren Vergleich. Aber ebenso habe die Innovationskraft Europa verlassen; die größten Technologiezentren der Welt sind heute in den USA, Südkorea, Japan und China angesiedelt.

Sich nun darauf zu beschränken, den Status Quo des verblichenen Ruhms zu bewahren, sei eine Sackgasse, in die sich Europas Elite verirre. Weil Ungarn nicht die Zeit habe, auf die EU zu warten, treffe es seine Entscheidungen im Sinne eines aufsteigenden Eurasiens halt eigenständig – bevor sich das enge Zeitfenster schließt.

„All unsere Debatten mit der EU-Zentrale in Brüssel entspringen diesem einen Umstand, dass Ungarn eine eigene Strategie verfolgt.“ Sich einer überholten EU-Doktrin zu widersetzen habe nichts mit der NATO-Mitgliedschaft und nichts damit zu tun, dass sich Ungarn auch gegenüber den USA als eigenständig definieren muss.

Nichtsdestotrotz sei er überzeugt, dass die Weltwirtschaft vor einem glücklichen Zeitalter steht, an dem auch Ungarn (und Europa?) partizipieren wollen. „Die historische Chance ist gegeben“, meinte Orbán und ließ keinen Zweifel daran, dass Ungarn diese Chance nicht einfach verstreichen lässt.

Hier geht es zu ungarischsprachigen Aufzeichnung der Rede von Ministerpräsident Orbán.

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16 Antworten auf “„Ungarn kann nicht auf die EU warten“

  1. Wenn MP Victor Orbán betont, für ein Land wie Ungarn könne es tödlich sein, den richtigen Zeitpunkt für einen Absprung zu verpassen, dann frage ich mich, wie lange Ungarn dann noch Mitglied der EUdSSR bleiben will. Natürlich ist eine solche Entscheidung von sehr vielen Faktoren abhängig, auch und vor allem von einer breiten Zustimmung in der Bevölkerung. Doch wenn man heute liest, dass Ungarn wegen seinem sog. Kinderschutzgesetz, in Wahrheit eine Unterwerfung unter die Macht der LBGTQ+ Fanatiker, vor den Europäischen Gerichtshof angeklagt wird, dann sehe ich kaum noch Gemeinsamkeiten, die einen Verbleib in der EUdSSR rechtfertigen.

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    1. Ich glaube, dass Orbán längst weiß, dass der Platz Ungarns nicht wirklich innerhalb der EU ist.
      Dennoch hält er, aus rein strategischen Gründen, an der Mitgliedschaft fest.

      Dass das gut ist, sehen wir immer wieder an den unfreundlichen Reaktionen aus Brüssel.

      Dennoch bin ich mir sicher, dass es über kurz oder lang einen Austritt geben wird. Denken wir einfach einmal daran, wie lange Orbán sich an der Mitgliedschaft in der EVP festgehalten hat, bis er sich dann letztendlich verabschiedete und mit der neuen Fraktion Patriots for Europe einen imposanten Gegenpol geschaffen hat!

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  2. … “Sich nun darauf zu beschränken, den Status Quo des verblichenen Ruhms zu bewahren, sei eine Sackgasse, in die sich Europas Elite verirre. Weil Ungarn nicht die Zeit habe, auf die EU zu warten, treffe es seine Entscheidungen im Sinne eines aufsteigenden Eurasiens halt eigenständig – bevor sich das enge Zeitfenster schließt.” …

    Was hat denn Ungarn/Orban beigetragen zur Einigkeit oder einem Erstarken der EU?
    Kaum etwas.
    Wichtiger war so viel Geld von der EU zu bekommen wie nur möglich ohne deren Kriterien ehrlich mitzutragen.
    Wo wäre Ungarn oder Herr Orban und seine Freunde ohne dieses Geld jetzt?

    Wer weiß ob die EU solche Mitglieder tatsächlich benötigt.

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  3. Der grösste Handelspartner von Ungarn ist immer noch die EU. Die meisten Investoren kamen, man vermutet es aus den Staaten der EU. Jetzt alles auf das Pferd China zu setzen , könnte in die Hose gehen. Ungarn war über Jahrzehnte zusammen mit Polen der grösste Nettoempfaner der EU. China gibt ja gerne Milliardenkredite um sich so die Abhangigkeit zu sichern. Das alles sollte man bedenken. Und einen Austritt aus der EU wollen die meisten Ungarn aus gutem Grunde nicht (Siehe Brexit, freie Arbeitsplatzwahl!). Bleibt abzuwarten ob die “neue” Wirtschaftspolitik von Ungarn am Ende den Ungarn wirklich so viel mehr bringt (Also nicht nur einigen von Ihnen)

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    1. Die EU betreibt auf Befehl der Multis Zerstörung der Nationen, der Wirtschaft, der Kultur. Und hat leider die Macht, Ungarn zu schädigen, weil sie es (zusammen mit dem Marionetten-Tyrannen-Regime in Kiew) umzingelt hat.

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  4. Ich weiß nicht, wie ein Mensch wie Armin Rieger denken kann, die EU sei in ihrer heutigen Verfassung annehmbar und zukunftstauglich.

    Es ist kein Geschwurbel und keine Verschwörungstheorie festzustellen, dass in Deutschland, Österreich, Frankreich und auch anderen EU-Staaten die Grundfesten wanken und die Wirtschaft in einer bisher kaum gekannten Krise steckt, durch Ausgabenorgien (überbordender Sozialstaat), miserable Energiepolitik (green deal) und Massen-Migration (packt for migration). Wer hier nicht weiß, dass der Hauptübeltäter Brüssel ist, dem ist nicht zu helfen.

    Und nun glauben diese Leute auch noch, der Ukraine-Krieg sei auch noch zu stemmen, ohne dass Europa vor die Hunde gehen. Man schaue sich nur mal an, was der SPD-Politiker Michael Roth fordert: Deutschland muss einspringen, wenn die USA nichts mehr für die Ukraine zahlen.

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  5. Herr Dr. Eichhorn, ich habe keine Domktortitel wie Sie, aber auf solches Niveau wie Sie lasse ich mich nicht herab ! Eigentlich schreiben ja hier in den Kommentarspalten nur ein paar Leute , weil ein Grossteil derer die anderer Meinung waren, ausgestiegen sind, das werde ich jetzt, zur Freude von Ihnen und einigen anderen, auch tun. Dann können Sie munter mit gleichgesinnten diskutieren. Was ich nicht verstehe, dass die Redaktion solche persönlichen Beleidigungen zulässt.

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    1. Ja darüber wundere ich mich auch schon lange. Persönliche Beleidigungen werden hier anstandslos akzeptiert.

      Und – auch ein Doktortitel schützt offensichtlich nicht davor in Ausdrucksweisen zu verfallen die jeder Beschreibung spotten.

      Sie sollten sich hier nicht vertreiben lassen und solchen Menschen das Feld überlassen. Das ist doch das was die sich wünschen.

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