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Kanzleramtsminister Gergely Gulyás zusammen mit Entwicklungsminister Tibor Navracsics: „Betrachten wir es als ein Zeichen für den Humor des lieben Gottes, dass dieser Fall gerade jetzt ans Licht gekommen ist." Fotos: MTI/ Tibor Illyés

EU-Gelder

Kompromiss im letzten Moment

Am Montagabend bestätigten die ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten den ungarischen Wiederaufbauplan formell.

Im Gegenzug stimmte Ungarn finanziellen Hilfen für die Ukraine zu und machte den Weg für die globale Mindeststeuer frei. Nach einem Kompromiss werden Ungarn weiter 6,3 Mrd. Euro an Haushaltsgeldern von der EU vorenthalten.

Navracsics: „Wir haben unsere im Sommer gesetzten Ziele erreicht“

„Wir haben unsere im Sommer gesetzten Ziele erreicht“, erklärte Tibor Navracsics, Minister für regionale Entwicklung, auf einer außerordentlichen Pressekonferenz mit Kanzleramtsminister Gergely Gulyás am Dienstag in Budapest. Navracsics erinnerte daran, dass sich die Regierung bis zum 31. Dezember mit der EU-Kommission über die Kohäsionsgelder einigen wollte.

Die Vereinbarung vom Montag bedeute, dass Ungarn außerdem die Gelder des Wiederaufbaufonds erhalte. Etwa 48% fließen in Projekte, die zur Erreichung der klima- und energiepolitischen Ziele beitragen, und rund 30% in die digitale Entwicklung.

Der Dialog mit der EU-Kommission dauert an

Bis Ende 2027 stehen dem Land im Rahmen der Operativprogramme zusammen mit Eigenmitteln rund 14.000 Mrd. Forint zur Verfügung. Die Kommission habe bereits mehr als 4.000 Mrd. Forint für Programme zur Entwicklung der Landwirtschaft und des ländlichen Raums genehmigt, während für die anderen Programme etwa 9.-10.000 Mrd. Forint bereitstehen.

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Kanzleramtsminister Gergely Gulyás: „Die globalen Regeln werden lediglich die Steuerschuld einiger großer multinationaler Unternehmen in Ungarn erhöhen.”

Hinsichtlich der Verhandlungsstrategie sagte Navracsics, es gab zahlreiche offene Positionen, zu denen man mit der Kommission einen Kompromiss finden konnte. Er sei zuversichtlich, dass es keine weiteren Forderungen von Seiten der EU geben werde. Der Dialog mit der EU-Kommission dauere an.

Auf eine Frage nach dem Zeitplan für die Umsetzung antwortete Navracsics, die letzte Etappe währe bis Ende März, wenn ein weiteres Gesetzespaket verabschiedet werden muss, von dem die Regierung hofft, dass es das letzte sein wird. Sobald das geschafft ist, könnten die Mittel etwa im April oder Mai freigegeben werden.

Politische Erwägungen problematisch

Zu den Meilensteinen, die man sich in den EU-Verhandlungen gesetzt hat, sagte Navracsics, Ungarn könnte anderen EU-Mitgliedsstaaten ein Beispiel dafür geben, wie man einer ideologisch motivierten „Hysterie-Kampagne“ mit konkreten Schritten entgegentritt.

Die Zukunft des Rechtsstaatsmechanismus und seine Legitimität werden davon abhängen, inwieweit es gelingt, diesen von aktuellen, parteipolitischen Erwägungen fernzuhalten. Er betonte, dass es in Ordnung sei, wenn die EU ihre eigenen Haushalts- und Finanzinteressen schützen wolle, aber dass Probleme entstehen, wenn politische Erwägungen in den Prozess einfließen.

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Der für die EU-Gelder zuständige Minister Tibor Navracsics: „Es ist in Ordnung, wenn die EU ihre Finanzinteressen schützt, aber bitte nicht mit einer ideologisch motivierten Hysterie-Kampagne.“

Realität steht auf Ungarns Seite

Gulyás betonte, dass der Verhandlungsprozess mit einem Sieg für die EU geendet habe, wobei Ungarn ebenfalls Mitglied der EU ist. Die europäische Einheit zu bewahren sei in der gegenwärtigen Situation besonders wichtig. „Ich habe immer daran geglaubt, dass die Realität auf unserer Seite steht.“ Die Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung schaden dem Land nicht. Allerdings sei die Korruptionslage in Ungarn nicht schlechter als in Westeuropa oder in den neuen Beitrittsländern.

Steuererhöhungen für manche Multis

Die nominale Körperschaftsteuer von 9% muss nun unter Berücksichtigung der lokalen Gewerbesteuer nicht erhöht werden, erklärte Gulyás. Die globalen Regeln werden lediglich die Steuerschuld einiger großer multinationaler Unternehmen in Ungarn erhöhen. Das ist einer der Gründe, warum die Regierung ihre Meinung über den Beitritt zum System geändert habe.

Der Kern des globalen Abkommens besteht darin, dass ein effektiver Körperschaftsteuersatz von 15% an den Fiskus jenes Landes abgeführt werden muss, in dem das Unternehmen tätig ist, und nicht an das Land, in dem es seinen Gewinn ausweist.

Gemeinsame Kreditaufnahme nicht zwingend

Zum Ukraine-Darlehen erklärte Gulyás, Ungarns Position war, dass es keine weitere gemeinsame Kreditaufnahme geben sollte. „Wir hätten es vorgezogen, wenn die Ukraine bilaterale Abkommen mit den Mitgliedstaaten geschlossen hätte. Aber die Ukraine fand es einfacher, die Unterstützung in einem Paket zu erhalten, und die EU fand dafür eine Lösung, die wir akzeptieren.“

Die Regierung werde den aktuellen Korruptionsfall im Europäischen Parlament genau verfolgen. Von diesem seien Kreise betroffen, bei denen die Linke enormen Einfluss hat. „Betrachten wir es als ein Zeichen für den Humor des lieben Gottes, dass dieser Fall gerade jetzt ans Licht gekommen ist“, meinte der Kanzleramtsminister.

Teilweises Einfrieren der EU-Gelder

Die EU greift erstmals zum Mittel, Milliardenzahlungen einzufrieren. Der finale Beschluss wird am Donnerstag erwartet. Die Summe soll mit 6,3 Mrd. Euro jedoch nicht so hoch ausfallen, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, bestätigte die tschechische EU-Ratspräsidentschaft in der Nacht auf Dienstag nach einer Sitzung der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten in Brüssel.

Die EU wird Ungarns Pläne für die Verwendung von Geldern des Wiederaufbaufonds in Höhe von 5,8 Mrd. Euro genehmigen. Allerdings muss das Land auch dafür weitere Bedingungen erfüllen. Die Auszahlung soll erfolgen, wenn 27 Voraussetzungen erfüllt sind. Diese betreffen z. B. die Wirksamkeit der neu eingerichteten „Integritätsbehörde“ zur Überprüfung mutmaßlicher Korruptionsfälle und das Verfahren für die gerichtliche Überprüfung staatsanwaltlicher Entscheidungen.

14 Antworten auf “Kompromiss im letzten Moment

  1. D.R. zurecht. Denn wenn man sieht, gibt ja im Moment nicht Orban das Tempo vor. Und wenn es keine Veränderungen gibt, fliesst auch kein Geld. Aber das hat alles zwei Seiten, von dem Geld fliesst ja auch ein grosser Batzen an die grossen Investoren aus dem Ausland zurück. Es liegt ja auch nicht im Interesse der anderen Nationen dieses Geld zurückzuhalten. Die Ungarn sollten sich eigentlich darüber freuen, dass jetzt mal wer aufpasst, wo ihr Geld hinfliesst. Wenn nicht wieder alles in die Taschen der Orban Familie und Strohmänner fliesst , ware das für alle ein Sieg. (ausser für Orban)

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    1. Es könnte ein wunderbarer Vorteil sein, wenn in Ungarn bald ohne Korruption und Vetternwirtschaft gearbeitet wird, anders als in Bayern, Brüssel, Berlin oder Bullerbüh. Dann wären nicht nur Orbáns Strohmänner passé, sondern auch das Strohfeuer, das gerade in Sachen Rechtsstaatlichkeit brennt.

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  2. Es bleibt festzuhalten:
    1) Entgegen seiner Zusage hat Ungarn dem Ukraine-Kredit zugestimmt.
    2) Entgegen seiner Zusage hat Ungarn der Mindeststeuer zugestimmt.
    Warum?
    Weil Ungarn Geld braucht und erpressbar geworden ist.
    Ergebnis:
    Geld fließt trotzdem keines, bzw. nur ein sehr geringer Teil.
    Statt dessen: “Die Auszahlung soll erfolgen, wenn 27 Voraussetzungen erfüllt sind.”
    Wir dürfen sicher sein, dass der EU mindestens 27 weitere Voraussetzungen einfallen, wenn die zuvor aufgeführten erfüllt sind. Sie wollen NICHT, dass Ungarn die im zustehenden Gelder erhält!
    Sie wollen einen Systemwechsel, nicht mehr und nicht weniger.

    Orbán sagte sinngemäß im Interview mit der BZ, dass eine Mitgliedschaft solange Sinn macht, wie sie zum Vorteil für für beide Seiten ist.

    Da die EU Mitgliedschaft aktuell keine sichtbaren Vorteile hat, weder für Ungarn, noch für die EU selbst, wäre ein Austritt aus dem “Verein” aus meiner Sicht die beste Lösung, alles andere wird ein Schrecken ohne Ende.

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  3. Nun feiern sich die Fidesz-Leute auch noch dafür, dass es für Ungarn doch nicht ganz so schlimm kommt, nachdem sie das Land zunächst in die gefährliche Lage gebracht hatten.

    Die EU gibt nun 1,2 Mrd. Euro zusätzlich frei, damit Ungarn überhaupt über die Runde kommt bis die Orban-Regierung die Forderungen zur Korruptionsbekämpfung erfüllen kann.

    Keiner Regierung in der nun doch langen Geschichte der EU wurden bisher EU-Mittel vorenthalten.
    Das kann sich die Fidesz-Regierung an die Fahnen heften.
    Keine rühmliche Leistung.

    Da musste nun also die EU die Orban-Regierung erst an den finanziellen Ohren ziehen, damit sie endlich ihre Trotzhaltung beendete und wieder die Hausregeln einhält.

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    1. Was haben Sie eigentlich davon, Herr Hatzig, wenn ein kleines Land wie Ungarn ( 9 Millionen Bewohnern) von einem angeblich demokratischen Überbau mit Füßen getreten wird ?
      Die Bevölkerung leidet nicht unter Korruption sondern unter der EU-Sanktions-Inflation.
      Herr Orban tut alles um der Bevölkerung zum Beispiel durch Rentenerhöhungen oder günstige Holzpreise gezielt zu helfen.
      Zur Zeit wendet er sich an Aserbaidschan, um die Energieprobleme zu lösen und es wird weitere Energiequellen geben.
      Inzwischen fällt in deutschen Medien das böse Wort “De-Industrialisierung”. Sowas besorgt mich mehr, denn niemand tut etwas dagegen, während Herr Orban ständig unterwegs ist um Ungarn zu stabilisieren.

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      1. Frau Koch, diese ganze Hilfspakete wären nicht notwendig, einfach das gestohlene Geld dem Volk zurückgeben, würde reichen. ” Die Bevölkerung leidet nicht unter Korruption” sagen Sie. Doch, denn dieses Geld wird anderen vorenthalten. Es fliesst zum grossen Teil in die Hände des Orban Clans. Die Steuern sind extrem hoch in Ungarn, bei jeder Preiserhöhung verdient der Staat mit. Uns als kleinerem Unternehmen ist es so gut wie unmöglich bei einer Ausschreibung an Fördergelder zu gelangen. Von der letzten grösseren Auschreibung, gewann Herr Mészáros mit seinen Unternhmen 75,08 % !! Der jetzige Verkauf des Gellert Hotels an Orbans Schwiegersohn, wurde von der ungarischn Staatsbank finanziert !! usw. Herr Orban ist einer der Gründe für den schwachen Forint.

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      2. Fragen Sie sich doch einmal, warum die Ungarn unter den EU-Sanktionen stärker leidet, als die Bürger in anderen EU-Staaten.

        Ungarn hat eine eigene Währung und ist also ganz souverän, was die Inflationsbekämpfung betrifft. Und doch ist die Inflation höher als in fast allen anderen EU-Staaten.

        Die ungarische Regierung hatte Ausnahmen von Sanktionen eingefordert und Lieferverträge mit Russland ausgehandelt, die nach Aussagen der Orban-Regierung doch so vorteilhaft für Ungarn sein sollen.

        Warum also gibt es in Ungarn Versorgungsengpässe und höhere Preise an der Tankstelle als z.B. in Österreich?

        Wie sollen eigentlich die EU-Sanktionen, die nach dem Feb.2022 verhängt wurden, schon im Nov.2021 zu einer Inflation geführt haben, die die Orban-Regierung zu dem 480Forint-Preisdiktat veranlasste?

        Warum verlor die ungarische Währung so viel stärker an Wert, als die Währungen anderer EU-Staaten?

        Die Antwort: Schlechte Fidesz-Politik, die nur auf Machterhalt ausgerichtet war und ist.

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  4. Hier ein paar grundlegende Überlegungen zur EU und die Gründe, warum die EU zwangsläufig in einer Dauerkrise befindet:

    “Die EU ist ein Staatenverbund, und damit fangen die Probleme schon an. Einen Staatenverbund gibt es nämlich eigentlich gar nicht: Es gibt entweder einen Staatenbund oder einen Bundesstaat ….Der Begriff wurde ursprünglich vom Verfassungsrichter Paul Kirchhof erfunden und eher als Beschreibung denn als Rechtsterminus verwendet. Er wurde erstmals 2009 im Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, bei dem übrigens auch Achse-Autor und Rechtsanwalt Markus C. Kerber als Prozessbevollmächtigter beteiligt war, genauer definiert ………….”

    Demnach muss den Mitgliedstaaten “also ausreichender Raum zur eigenen politischen Gestaltung bleiben. Doch was genau ist „ausreichend“? Es handelt sich hier um einen unbestimmten Rechtsbegriff, welcher der Auslegung bedarf.”

    Und hier beginnen die Probleme:

    https://www.achgut.com/artikel/wer_serie_die_macht_der_kommissare

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    1. Es gibt Bundesstaaten schon sehr viel länger als es die EU gibt.

      Ein Staatenbund ist wiederum z.B. auch die UNO.
      Auch die NATO ist ein Staatenbund zu einem gemeinsamen Zweck.

      Eigentlich geht die EU schon über einen Staatenbund hinaus, da es Transferleistungen gibt, die nicht bilateral vereinbart und organisiert sind.

      Würde man die EU zu einem reinen Staatenbund zurückentwickeln, müssten auch die EU-Mittel auf rein administrativen Kosten begrenzt werden.

      Die Nato hat gerade mal einen Etat von knapp 2 Mrd. während die gesamten Militärausgaben des NATO-Bündnisses im Jahr 2021 geschätzt rund 1.175 Mrd. US-Dollar betrugen.

      Jeder Mitgliedstaat behält seine Steuereinnahmen und finanziert damit nur seine eigenen Ausgaben.
      Eine entsprechende Umfrage würde in Deutschland sicherlich zu einem recht klaren Ergebnis führen.

      Und dann müsste sich auch die Orban-Regierung keine Sorgen mehr um EU-Gelder machen – da wäre nichts mehr zu verteilen.

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  5. Der ungarische Entwicklungsminister Herr Nafracsics sagt es zufriedenstellend, dass Ungarn seine im Sommer gesetzten Ziele erreicht hat. Das ist in der jetzigen politischen (Zwangs)-Lage für Ungarn doch bereits ein respektables Ergebnis.
    Nun müssen noch 27 weitere Voraussetzungen bezüglich Integrationsbehörde/Korruptionsfälle, die die EU erfüllt haben will, erst im Jahr 2023 (1. Quartal) erfüllt werden. Das könnte routinemäßig abgearbeitet werden, wenn verglichen wird, dass die Korruptionslage in Ungarn nicht schlechter ist als in anderen westeuropäischen Staaten, in den neuen Beitrittsländern
    und ….. im EU-Parlament selbst !!! ist. Möglicherweise in Ungarn sogar besser mit weniger Korruption.
    Den vernünftigen Ungarn wird eine glückliche Hand bei den Verhandlungen gewünscht.

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    1. Wenn es kein Korruptionsproblem in Ungarn gibt, weshalb muss dann die EU die Orban-Regierung erst zu solchen Änderungen zwingen, die man doch eigentlich von jeder Regierung erwarten müsste, denn sie zielen alle auf den Schutz der Steuergelder der Bürger und auf die Stärkung der Korruptionsbekämpfung ab.
      Aktuell würde Ungarn nicht einmal mehr die EU-Beitrittsbedingungen erfüllen.
      Vor 2010 war Ungarn im Korruptionswahrnehmungsindex von TI noch vor Griechenland und Rumänien zu finden. Heute wird nur noch in Bulgarien Korruption stärker wahrgenommen als in Ungarn.

      Griechenland und Rumänien hatten und haben ein Korruptionsproblem – in Ungarn ist es nun größer.
      Wohin Korruption führt, zeigte die Griechenland-Krise.

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  6. Herr Kupillas, gelinde gesagt sagen da einige die Unwahrheit. Die Korruption in Ungarn ist eigentlich auch hier jedem bekannt. Das schlimme ist ja, das nichts dagegen unternommen wird. Es wird einfach toleriert. So dreist , uns so offen, wie diese Regierung hat noch keiner vorher die Steuerzahler betrogen. Als Stichwort sollten hier nur Orbans Schwiegersohn und sein bester Kumpel der Gas und Wasser Installateur herhalten. Von Rogan, Varga usw. wollen wir hier gar nicht reden. Die Steuererklärungen sind ja öffentlich, da brauchts keine höhere Mathematik. Aber wie gesagt, es wird toleriert. Genau das will ja die EU geaendert haben.

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