Bürgerinitiative
Schon mehr als 1,2 Millionen Unterschriften: Vor allem in Ungarn, Rumänien und der Slowakei findet die Bürgerinitiative Zustimmung. (Foto: MTI/ Zoltán Máthé)

EU-Bürgerinitiative

„EU soll Minderheiten schützen – an den Regierungen vorbei“

Eine ungarische Bürgerinitiative fordert, die EU möge Geld an Minderheiten-Regionen verteilen – ohne die Regierungen zu fragen. Ein Vorreiter für weitere Ideen?

Es ist eine Volksgruppe, von denen die wenigsten in Europa je gehört haben: Die Szekler, eine ungarisch sprechende Minderheit im Herzen Rumäniens, die sich aber selbst nicht vorrangig als „Ungarn“ betrachten, sondern als Nachfahren der Hunnen. Sie haben eine „Europäische Bürgerinitiative“ gestartet, die das Wort „Szekler“ sehr viel bekannter machen und in der EU viel Staub aufwirbeln dürfte. Die Initiative zur „Erhaltung der regionalen Kulturen“ hat bislang mehr als 1,2 Millionen Unterschriften gesammelt. Sie verfolgt das Ziel, die in Brüssel so oft gepriesene „kulturelle Vielfalt“ in einem „Europa der Regionen“ nicht nur mit Worten, sondern mit Geld zu unterstützen. An den Nationalregierungen vorbei. Der Grund ist, dass sich die Szekler von der rumänischen Zentralregierung benachteiligt fühlen.

Heftige Reaktionen zu erwarten

Sollte die Initiative Erfolg haben, und sollte die Kommission gar Gesetzesentwürfe in diesem Sinne erwägen, dann dürfte das heftige Reaktionen auslösen: Rumänien wäre erzürnt, Spanien entsetzt (dort wären Basken die Nutznießer), und auch mehrere EU-Beitrittskandidaten verfolgen die Entwicklung genau: Länder die in der Vergangenheit teilweise gewaltsam gegen ihre Minderheiten vorgingen und das mitunter immer noch tun. Die Türkei, Serbien, das von ethnischen Spannungen geplagte Bosnien sowie Nord-Mazedonien.

Zufällig trifft der Vorstoß aber auf eine andere aktuelle Debatte in der Union, nämlich darüber, ob man nicht EU-Gelder lieber direkt an Kommunen zahlen sollte, um Zweckentfremdung und Korruption durch nationale Regierungen vorzubeugen. Im Klartext: Statt Geld an Ungarn oder Polen (oder Rumänien) würden manche in der EU lieber Geld direkt an die liberal regierten Hauptstädte Budapest und Warschau zahlen. László Pesty, der die Szekler-Kampagne leitet, empfiehlt den Befürwortern einer solchen Reform: „Sollen sich die Städte, die das wollen, doch selbst zusammenschließen und eine Initiative starten“.

Bürgerinitiative hat ernste Aussichten auf Erfolg

Die EU-Kommission wollte die Petition anfangs gar nicht erst zulassen. Die Organisatoren verklagten sie daraufhin, unterstützt von der ungarischen Regierung. Rumänien und die Slowakei – dort leben große ungarische Minderheiten – unterstützten die Kommission. Die aber unterlag vor dem Europäischen Gerichtshof und war so gezwungen, die Initiative zu genehmigen, die jetzt allmählich ernste Aussichten auf Erfolg hat.

Kampagnenleiter László Pesty hofft, bis zur Frist am 7. November insgesamt zwei Millionen Unterschriften vorlegen zu können. Das wäre die höchste Zahl, die je von einer EU-Bürgerinitiative erreicht wurde. Spitzenreiter aller Zeiten ist bislang die Initiative „One of us“ für den Schutz des ungeborenen Lebens, die in den Jahren 2012 und 2013 durchgeführt wurde und 1.721.626 anerkannte Unterschriften erreichte.

Initiator und Kampagnenleiter László Pesty hofft auf jeden Fall auf eine öffentliche Debatte. (Fotos: Facebook/ László Pesty)

Macht und Ohnmacht solcher Initiativen kann man gut an diesem Beispiel illustrieren. Die Kommission gewährte eine Anhörung, beschloss dann aber, nichts zu tun, also keinen Rechtsakt vorzulegen, um Forderungen der Bürgerinitiative in EU-Recht zu verwandeln. Eine politische Resonanz gab es aber sehr wohl: Ein damaliger Gesetzesentwurf im Europäischen Parlament, das Recht auf Abtreibung europaweit durchzusetzen, scheiterte letztlich (knapp) wohl auch an der Dynamik, die die „One of us“-Initiative im öffentlichen Diskurs entfaltete.

Das Gefühl geben, mitreden zu können

EU-Bürgerinitiativen gibt es seit 2012. Sie sollen den Bürgern das Gefühl geben, mitreden zu können. Viel mehr aber auch nicht: Wenn es den Initiatoren gelingt, binnen 12 Monaten mindestens eine Million Unterschriften zu sammeln, wobei in mindestens sieben Ländern das 750fache ihrer Abgeordnetenmandate im Europäischen Parlament erreicht werden muss, dann muss die Kommission Stellung nehmen. Sie kann darüber hinaus einen Rechtsakt vorschlagen, bestehende Regeln modifizieren oder gar nichts tun.

75 Initiativen wurden bislang zugelassen, aber nur sechs von ihnen gelang es, die 1-Millionen-Grenze zu durchbrechen. Und nur einmal raffte sich die Kommission zum Handeln auf. Da ging es um die Forderung, den Zugang zu sauberem Trinkwasser in den Rang eines Menschenrechts zu erheben. Die Kommission legte auch da keinen Rechtsakt vor, sondern entschloss sich zu „Konsultationen” um die Qualität des Trinkwassers in der EU zu verbessern.

Schutz von historisch verwurzelten regionalen Minderheiten

Obwohl die Minderheit der Szekler die jetzige Initiative anstieß, ist sie gesamteuropäisch formuliert: Es geht um alle historisch verwurzelten regionalen Minderheiten in Europa. László Pesty zählt im Gespräch mit der Budapester Zeitung auf: Südtiroler, Schlesien-Deutsche, Sudetendeutsche, Katalanen, Basken, Lappen… insgesamt 25 Gruppen von Menschen, die historisch in einer bestimmten Region mit eigener Sprache und Kultur verwurzelt sind. Diese gelte es zu schützen. Ein Mittel dafür sei die direkte Vergabe von Kohäsions-Geldern an wie auch immer geartete Minderheiten-Organisationen.

Vorerst aber fehlt die erforderliche Mindestanzahl von Unterschriften in vier Ländern. In Ungarn, Rumänien und der Slowakei ist diese Anforderung übererfüllt, aber es müssen ja sieben sein.

Die überwiegende Mehrheit der aktuell mehr als 1.252.000 Unterschriften stammen aus Ungarn sowie aus Ländern mit großen ungarischen Minderheiten: Rumänien und die Slowakei. Rund 240.000 wurden auf Papier gesammelt, 1.012.791 online (Stand 28. August). 788.837 der Online-Signaturen sind aus Ungarn, 169.299 aus Rumänien und 27.252 aus der Slowakei. Auch die Papier-Unterschriften sind fast alle aus diesen Ländern. Mit anderen Worten: von den 1,2 Millionen Unterschriften kommen über den Daumen gepeilt 1,1 Millionen von EU-Bürgern ungarischer Abstammung.

Ansonsten gibt es vor allem Stimmen aus Ländern, in denen viele ausgewanderte Ungarn leben und arbeiten: Schweden, Deutschland, Österreich, Irland. In Österreich etwa sind 17 Prozent der 13.500 erforderlichen Unterschriften erreicht: 2.309 (online). In Deutschland sind es mit 10.406 Unterschriften 14,4 Prozent der Mindestzahl, und in Schweden gar 24 Prozent. Die wahren Werte liegen etwas höher, denn die Organisatoren haben die Papier-Unterschriften aus diesen Ländern noch nicht ausgewertet.

Kampagnenleiter László Pesty ist zuversichtlich

Alles in allem ist diese EU-Bürgerinitiative bislang vor allem eine ungarische Bitte an Europa. László Pesty ist dennoch zuversichtlich, dass sein Team auch andere Minderheiten ansprechen kann und im Endspurt in insgesamt zehn Ländern erfolgreich sein wird. Man will gezielt Südtiroler, Basken, Katalanen und wie gesagt auch deutsche Minderheiten ansprechen.

Im Erfolgsfall wird zwar außer einer Anhörung durch die Kommission und einer formalen Antwort vermutlich vorerst wenig geschehen, wie in früheren Fällen auch. „Es würde aber eine öffentliche Debatte auslösen“, hofft Pesty. Druck aus der Bevölkerung, Lobbyarbeit von Minderheitenverbänden, das alles kann auf längere Sicht durchaus Wirkung entfalten.

Hier geht es zur Europäischen Bürgerinitiative der Szekler: eci.ec.europa.eu/010/public/#/initiative

Ein Gedanke zu “„EU soll Minderheiten schützen – an den Regierungen vorbei“

  1. Fast in jedem Land in Europa gibt es historische verwurzelte Minderheiten. In Deutschland, Dänemark, Polen, Tschechin, Italien und so weiter. Wenn man die viel beschworene Vielfalt und Schutz die Minderheiten ernst nimmt, muss eben in Europa der Vaterländer eben diesen historisch verwurzelten Minderheiten moralische und finanzielle Unterstützung geben. Bitte, geben sie weiter und unterschreiben Sie. Unter Twitter Herrn Kálnoky finden Sie das Formular.

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