Antisemitismus
Rabbiner Slomó Köves blickt einem möglichen Regierungswechsel sorgenvoll entgegen. Foto: Mandiner / Árpád Földházi

Offener Brief an Olaf Scholz

Keinen Freibrief für Antisemiten!

Der Rabbiner von Budapest macht sich ernsthafte Sorgen wegen Erscheinungen des Antisemitismus im Oppositionsbündnis.

Wie erst jetzt bekannt wurde, schrieb Slomó Köves deshalb bereits Mitte Februar einen Offenen Brief an den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz. Ihn beunruhigt, dass Brüssel und Berlin eine Opposition hofieren, deren Wahlsieg Juden in Ungarn in Gefahr bringen könnte.

Judenfeindliche Äußerungen führender Jobbik-Politiker

Slomó Köves erinnert an judenfeindliche Äußerungen führender Politiker der Jobbik, die eine tragende Kraft des Bündnisses ist, und zitiert den Spitzenkandidaten. Péter Márki-Zay bezeichnete einen bereits verstorbenen früheren Berater des Fidesz als „homophoben Juden, der in einer Schwulenehe lebt“. In der „Regenbogenkoalition“ des breit aufgestellten Oppositionsbündnisses dürfe „jeder aufrechte Mensch seine eigene Weltanschauung behalten“, weshalb sich dort „Liberale ebenso wie Kommunisten, Konservative und Faschisten“ fänden. Der Rabbiner bezweifelt in seinem Brief an Scholz, dass „so etwas in Ihrem Land möglich wäre“.

„Aufkommende Inkonsequenz in der Haltung“

Köves mahnt Deutschland angesichts seiner historischen Verpflichtung, die „uneingeschränkte Unterstützung Israels als ureigenste Aufgabe“ zu betrachten und „allen Erscheinungsformen des Antisemitismus immer wieder konsequent“ entgegenzutreten. „Konsequenz bedeutet für mich, dass man alle Erscheinungsformen des Antisemitismus bekämpft, nicht nur jene, die aus den Reihen unserer politischen Gegner kommen“, schreibt er weiter und beklagt eine „aufkommende Inkonsequenz der deutschen Haltung“.

Erschütternde Umfrageergebnisse in Sachen Antisemitismus

Die von Köves gegründete Liga für europäisches Handeln und Verteidigen ließ das Meinungsforschungsinstitut Ipsos eine Tiefenanalyse über antisemitische Ansichten in 16 europäischen Ländern anfertigen. Die Ergebnisse waren „wahrhaft erschütternd“. So meinten gleich 38% der befragten Ungarn, „Juden hätten einen zu großen Einfluss“. In Deutschland waren 30% überzeugt, „das deutsche Volk habe während des Zweiten Weltkrieges ebenso viel gelitten wie die Juden“. Interessant sei auch, dass der Anteil von Personen mit antisemitischen Ansichten in Ungarn laut Untersuchung um 20 Prozentpunkte höher liege als in Deutschland. Dennoch gab es in Ungarn 2020 „nur“ 34 antisemitische Straftaten, in Deutschland dagegen 2.275.

Der Rabbiner weiß sehr wohl darum, dass die deutsche Regierungskoalition die ungarische Regierung „mitunter kritisch sieht“. Das dürfe aber kein „Freibrief für Antisemitismus in den Reihen eines Bündnisses sein, das nach den Wahlen die nächste ungarische Regierung stellen möchte“.

5 Antworten auf “Keinen Freibrief für Antisemiten!

  1. Vielleicht sollte der ungarische Rabbiner den Brief lieber an den ungarischen Regierungschef schreiben.
    Dass ein deutscher Rabbiner einen Brief an Orban adressierte, in dem es um das Problem des Antisemitismus in Deutschland geht, kam schließlich noch nicht vor.
    Und dies, obwohl Fidesz mit den rechten Parteien im EU-Parlament über Zusammenarbeit bis hin zur gemeinsamen Fraktionsbildung spricht.

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      1. Wie gesagt:
        Fidesz kungelt mit den Rechten im EU-Parlament unter denen sich ebenfalls reichlich Anhänger mit bedenklichen Ansichten befinden.
        Vielleicht sollte er also auch mal einen offenen Brief an seine eigene Regierung schreiben.

        Es ist zudem kein Zeichen von Antisemitismus, wenn Menschen, die z.B. großes eigenes Leid im 2.Weltkrieg erlitten hatten, sagen „das deutsche Volk habe während des Zweiten Weltkrieges ebenso viel gelitten wie die Juden“ – dies zeugt vielleicht von mangelnder Empathie, aber doch nicht von Antisemitismus.

        Auch die Zahl der Straftaten sagt doch noch nichts aus. Werden diese in einem Land stärker verfolgt, als in einem anderen, so sind die Zahlen wenig aussagekräftig bzw. deuten auf ein anderes Problem hin.

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    1. Widerlich sind die abfälligen Kommentare über Migranten, die man hier leider häufig lesen muss.
      Und die sind eben nicht nur schlechte Witze, sondern von den Schreibern wirklich ernst gemeint.
      Es beginnt immer mit der Entmenschlichung von Gruppen und die negative Verallgemeinerung.

      Ein ungarischer Rabbiner sollte sich mal die Frage stellen, weshalb nur in 34 antisemitische Straftaten in Ungarn ermittelt wurde.

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4. Dezember 2024 12:37 Uhr